Mit ihrer im Berliner Silvesterfeuerwerk aufgenommenen Bilanz des Kriegsjahres 2022 hat Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) erhebliche Kritik ausgelöst. Die CDU-Verteidigungspolitikerin Serap Güler legte Kanzler Olaf Scholz (SPD) nahe, Lambrecht zu entlassen. Der Fraktionsvize der Union, Johann Wadephul, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): »Das Video zeigt nochmal deutlich, dass sie die Falsche in diesem zentralen Amt ist - und das in diesen Kriegszeiten in Europa.«
Der CDU-Politiker Armin Laschet - der als Kanzlerkandidat selbst mit einem Lachen im Flutgebiet schwer in die Kritik geraten war - schrieb auf Twitter: »Ist dem Bundeskanzler eigentlich die Wirkung Deutschlands in Europa und der Welt völlig egal?«
In dem am Wochenende über Instagram verbreiteten Video bilanziert Lambrecht das Jahr 2022, ihre Worte gehen aber mehrfach im Pfeifen von Raketen und explodierenden Böllern unter. Das Jahr habe uns alle vor unglaubliche Herausforderungen gestellt, sagt Lambrecht. Und: »Mitten in Europa tobt ein Krieg. Und damit verbunden waren für mich ganz viele besondere Eindrücke, die ich gewinnen konnte. Viele, viele Begegnungen mit interessanten, mit tollen Menschen.«
Die Bundesregierung wollte das Video nicht kommentieren. »Ich sehe jetzt keinen Anlass, das hier zu bewerten«, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann in Berlin. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums sagte, es handele sich um ein privat aufgenommenes Video, für das keine Ressourcen des Ministeriums verwendet worden seien. Auf die Frage, ob die Filmaufnahme angesichts des Kriegs in der Ukraine eine angemessene Form sei, das neue Jahr zu begrüßen, sagte er: »Die Worte der Ministerin im Video stehen für sich. Es ist nicht an mir, das zu kommentieren.«
Strack-Zimmermann: »Setting etwas unglücklich«
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), äußerte sich distanziert: »Das betreffende Neujahrsvideo ist eine Sache der Ministerin und ihres Kommunikationsstabes. Ich selbst finde das Setting etwas unglücklich. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.«
Lambrecht steht seit einiger Zeit mehr als andere Minister im Kabinett Scholz in der Kritik. Mal geht es um die schleppend angelaufene Beschaffung für die Bundeswehr, mal um fehlende Sachkenntnis, aber auch um ihr Auftreten in der Öffentlichkeit. So machte ein Foto ihres Sohnes auf Mitreise in einem Bundeswehrhubschrauber Negativschlagzeilen.
Mitte Dezember hatte der Bundeskanzler seine Verteidigungsministerin gegen Kritik in Schutz genommen. »Die Bundeswehr hat eine erstklassige Verteidigungsministerin«, sagte Scholz der »Süddeutschen Zeitung«. »Über manche Kritik kann ich mich nur wundern.« Es gehe jetzt darum, die Bundeswehr langfristig zu stärken und sie verlässlich mit Waffen und Munition auszurüsten. Dass Scholz die Ministerin ohne einen größeren Plan für eine Kabinettsumbildung entlassen könnte, gilt als unwahrscheinlich.
Peinlich, bizarr, unangemessen
Trotzdem: Peinlich, bizarr, unangemessen waren zum Jahresbeginn Begriffe, mit denen das Video Lambrechts kommentiert wurde. Auf Twitter lag die Ministerin bei den »Trends« mit vorn, in der Beliebtheitsskala rangiert sie dagegen hinten. Ulrike Franke, Expertin für Sicherheit und Verteidigung beim Forschungsinstitut European Council on Foreign Relations, bescheinigte der Ministerin mit ihrer Videobotschaft fehlendes Gespür und setzte auf Twitter eine Art Stoßseufzer dazu: »Haben die in Berlin ihren Verstand verloren?«
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