Ganz am Ende kommt auf dem CSU-Parteitag plötzlich doch noch richtig Stimmung auf - als Friedrich Merz auf der Bühne steht. Der CDU-Vorsitzende ist eigentlich nur Gastredner. Doch für seine angriffslustigen Attacken auf die Ampel-Koalition, vor allem auf Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die Grünen, erntet Merz stellenweise lauteren Beifall als am Vortag CSU-Chef Markus Söder.
Etwa als er die Führungsetage des Bundeswirtschaftsministeriums als »ökologische Selbsterfahrungsgruppe« angreift. Als er sagt, jetzt müsse die Stunde der Ingenieure sein, nicht die der Ideologen. Als er das Bürgergeld als reine »Traumabewältigung« der SPD geißelt. Oder als er ein Thema aufgreift, das Söder in seiner Rede - wenn überhaupt - allenfalls gestreift hatte: die wieder steigenden Flüchtlingszahlen. Und auch für seinen Angriff auf die Cannabis-Legalisierungspläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erntet Merz jubelnden Beifall: »Was hat der Mann eigentlich geraucht«, ruft er in den Saal.
Merz trifft mit seinem Ampel-Rundumschlag, mit seiner konservativen Standortbestimmung, mit seiner pointierten, angriffslustigen, frei vorgetragenen Rede ganz offensichtlich den Nerv der Delegierten - nach einem ansonsten müden zweiten Tag in Augsburg. »Nach der Rede können wir Hoffnung schöpfen«, sagt einer auf dem Weg nach draußen.
Ein etwas eigenartiger Parteitag
Ansonsten ist es tatsächlich ein etwas eigenartiger Parteitag. »Ein reiner Arbeitsparteitag«, sagt einer verteidigend. Von so etwas wie Euphorie, vom alten »Mia san mia«, ist abgesehen von kleinen Momenten keine Spur - aber vielleicht sind die Zeiten dafür auch zu ernst?
Dennoch kann Söder zufrieden sein. Wenn man sich nach seiner knapp eineinhalbstündiger Rede vom Freitag unter den Delegierten umhört, fallen die Urteile ziemlich ähnlich aus: von gut bis sehr gut. Eine gute Richtungsbestimmung sei das mal wieder gewesen, mal wieder mehr Bayern-Akzente und nicht nur reines Ampel-Bashing wie noch vor einigen Wochen. Söder hat sich interne Klagen, nur nach Berlin zu schauen, offenbar zu Herzen genommen.
Auch der wieder konservativere Kurs, den Söder seit einiger Zeit eingeschlagen hat, wird auf dem Parteitag goutiert. Die CSU solle potenzielle neue Wähler nicht »krampfhaft« links der Mitte suchen, sagt Söder in Augsburg, sondern »in der Mitte der Bürgerlichkeit«.
Mit dieser doppelten Strategie will er im Wahljahr also punkten: mit dem Verweis auf eigene politische Projekte, auf seine Hightech-Agenda beispielsweise (»Hightech und Heimat« scheint einer seiner zentralen Slogans zu werden). Aber eben auch mit einer kritischen Begleitung der Ampel - denn es gibt dann doch durchaus lauten Applaus, als Söder SPD, Grüne und FDP herzhaft kritisiert.
Söder warnt Partei vor Arroganz
Von Siegesgewissheit oder überbordendem Selbstbewusstsein ist auf diesem CSU-Parteitag allerdings nichts zu spüren. Stattdessen warnt Söder seine Partei vor einer »Hybris«, also Arroganz und Hochmut, der am Ende Stimmen könnte. Zu lange hin ist es noch bis zur Wahl, zu viel könnte theoretisch noch passieren. Zu ungewiss ist ja auch, was die kommenden Monate bringen, wie sich die Energiekrise entwickelt, wie gravierend deren Folgen am Ende werden. Ist die Stimmung deshalb insgesamt eher derart ernst-zurückhaltend?
Fakt ist: Ein Jahr vor dem Wahltermin müssen sich Söder und die CSU keine Sorgen machen, dass sie die Staatskanzlei räumen müssen, im Gegenteil. Allen aktuellen Umfragen zufolge kann die Koalition aus CSU und Freien Wählern weiterhin mit einer klaren Mehrheit im Landtag rechnen. Zwischenzeitliche Träume der bayerischen Opposition von einer Ampel auch im Freistaat scheinen aus der Luft gegriffen.
Auch wenn Söder nach Lage der Dinge nicht um seine Wiederwahl fürchten muss: Das Prozent-Ergebnis könnte entscheidend dafür sein, wie lange er nach 2023 noch fest im Sattel sitzen wird, jedenfalls mittelfristig. Kurzfristig werde ihm auch bei unter 37,2 Prozent - das war das Ergebnis der Landtagswahl 2018 - niemand gefährlich werden, heißt es von mehreren CSU-Delegierten übereinstimmend.
Interessant ist: Am Ende könnte die politische Großwetterlage, könnte die Performance der Ampel-Koalition den Ausschlag geben, ob es für Söder ein, zwei Prozentpunkte mehr oder weniger werden. Von einer anhaltenden Schwäche der Ampel - und der Möglichkeit einer sehr scharfen Abgrenzung - könnte die CSU in Bayern letztlich profitieren.
An dem Punkt aber kommen einzelne Parteivertreter ins Grübeln: Müsste die CSU angesichts wachsender Kritik an der Ampel in Umfragen nicht längst besser dastehen als zuletzt bei 37 bis 40, einmal 41 Prozent? Und auch weil Söder derzeit ja Tag für Tag rastlos durchs Land tourt?
Merz: Sind wieder auf Platz 1
Merz meldet da - bundesweit gesehen - schon Vollzug: »Wir sind wieder zurück auf Platz eins in Deutschland«, sagt er unter großem Applaus und meint damit, dass die Union mit 25 und 28 Prozent in Umfragen wieder stärkste Kraft im Bund ist.
Die Parteivorsitzenden wollen an der Stelle aber keine wie auch immer geartete Konkurrenz aufkommen lassen, üben vielmehr den engen Schulterschluss. Söder legt seinen Fokus ganz klar auf Bayern und die Landtagswahl - und akzeptiert Merz' bundesweiten Führungsanspruch. Das zeigt auch das Geschenk, das er ihm überreicht: ein Fußballschal. Darauf steht: »CDU Nr. 1 in Deutschland - CSU Nr. 1 in Bayern.«
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