BERLIN. Die Thüringer CDU gerät nach der Wahl des Ministerpräsidenten mithilfe der AfD massiv unter Druck. Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer drohte den Parteifreunden in Erfurt mit Konsequenzen, falls sie mit dem neuen Regierungschef Thomas Kemmerich (FDP) zusammenarbeiten sollten.
»Dieser Ministerpräsident hat keine parlamentarische Mehrheit, er muss sich immer auf der AfD abstützen«, sagte sie im ZDF. Insofern wäre eine Zusammenarbeit mit Kemmerich ein Verstoß gegen die Parteilinie, die jede Kooperation mit der AfD ausschließe - »mit den entsprechenden Folgen«.
Kemmerich war am Mittwoch im Thüringer Landtag überraschend mit den Stimmen von Liberalen, CDU und AfD zum Regierungschef gewählt worden. Der Kandidat der FDP, die im Herbst nur knapp den Sprung in den Landtag geschafft hatte, setzte sich gegen den bisherigen Regierungschef Bodo Ramelow von den Linken durch. Es war das erste Mal, dass die AfD einem Ministerpräsident ins Amt half. Das rief bei SPD, Grünen, Linken, aber auch bei CDU und CSU massive Empörung hervor. Kemmerich will nun eine Minderheitsregierung mit CDU, SPD und Grünen bilden. SPD und Grüne haben aber bereits abgesagt.
Die Thüringer CDU erklärte sich am Mittwochabend trotzdem zu Gesprächen mit Kemmerich bereit. »Voraussetzung dafür ist aber, dass jede Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen sein muss«, betonte CDU-Generalsekretär Raymond Walk nach einer Sitzung des Landesvorstandes. Die CDU-Bundesspitze fordert dagegen eine Neuwahl in Thüringen. »Und ich finde, es wäre richtig, wenn dieser Ministerpräsident zurücktreten würde«, sagte Kramp-Karrenbauer.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wurde am Mittwoch von dem Wahl-Eklat in Thüringen auf einer Reise nach Südafrika überrascht. Sie wollte die Vorgänge während des Fluges nicht kommentieren. Es wird damit gerechnet, dass sie sich am Vormittag bei einer Pressekonferenz mit dem südafrikanischen Präsidenten Cyril Ramaphosa (10.30 Uhr MEZ) in Pretoria dazu äußern wird.
Die Entwicklung in Thüringen belastet auch die große Koalition in Berlin. Die SPD wertet die Wahl mit Stimmen der AfD als »Dammbruch« und verlangt ein Machtwort von Kramp-Karrenbauer. Für Samstag wurde kurzfristig ein Treffen des Koalitionsausschusses angesetzt. Die Thüringer SPD forderte die Parteispitze auf, die große Koalition in Berlin aufzukündigen, »wenn keine unmissverständliche Klärung des Verhältnisses der Bundes-CDU zur AfD erfolgt und daraus Konsequenzen bei der CDU Thüringen erfolgen«.
In Bedrängnis gerät allerdings auch die FDP, der Kurs der Liberalen in Thüringen ist auch intern umstritten. Die Parteispitze in Schleswig-Holstein forderte den Rücktritt Kemmerichs und Neuwahlen. Ähnlich äußerte sich stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Alexander Graf Lambsdorff. Der rheinland- pfälzische FDP-Chef Volker Wissing twitterte: »Einen Ministerpräsidenten von Gnaden der AfD kann und darf es nicht geben. Wenn demokratische Kräfte die Zusammenarbeit ablehnen, braucht Thüringen Neuwahlen.«
Parteichef Lindner erklärte: »Die FDP verhandelt und kooperiert nicht mit der AfD.« An CDU, SPD und Grüne appellierte Lindner, das Gesprächsangebot Kemmerichs anzunehmen. Sollten sich diese »fundamental verweigern, dann wären baldige Neuwahlen zu erwarten und aus meiner Sicht auch nötig«. FDP-Präsidiumsmitglied Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sprach sich auf Twitter für den Rücktritt Kemmerichs aus. »Der Spuk in Thüringen muss sofort beendet werden, bevor er zum Albtraum wird«, twitterte die frühere Bundesjustizministerin.
Aus Protest gegen die Wahl gingen am Mittwochabend deutschlandweit mehrere tausend Menschen auf die Straße. In Berlin bekundeten Hunderte Demonstranten vor den Parteizentralen von FDP und CDU ihren Unmut. Dazu aufgerufen hatten verschiedene linke Gruppen.
Vor der Thüringer Staatskanzlei versammelten sich etwa 1000 Menschen und bildeten eine Menschenkette. Einige skandierten: »Wer hat uns verraten? Freie Demokraten!« und »Nicht mein Ministerpräsident!« Vor dem Eingang des Gebäudes brannten Kerzen, Demonstranten hielten ein Transparent »FDP und CDU: Steigbügelhalter des Faschismus«. (dpa)