BERLIN. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat sich für ihren Vorstoß zu Regeln für Meinungsmache im Netz von vielen Seiten massiven Ärger eingehandelt - auch aus der eigenen Partei.
CDU-Bundesvize Armin Laschet twitterte: »70 Jahre alt und doch wie für YouTube formuliert. Das Grundgesetz schützt unsere Meinungsfreiheit - in allen Medien.« Und der CDU-Wirtschaftspolitiker Carsten Linnemann nannte die Äußerungen Kramp-Karrenbauers »unglücklich«.
Die CDU-Chefin versuchte indessen erneut, die Vorwürfe auszuräumen, sie wolle die Meinungsfreiheit einschränken. In Berlin erklärte sie: »Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt werden wir alle in der CDU immer verteidigen.« Sie fügte hinzu: »Gerade in kontroversen Zeiten, etwa im Wahlkampf, tragen wir alle dafür eine Verantwortung, wie wir miteinander diskutieren und wie sich politische Meinung bildet.« Letztlich gehe es »um die Frage, wie sich Kommunikation und auch politische Kultur durch soziale Medien verändern. Das ist die Frage des Umgangs miteinander.« Diese Debatte sei nicht neu.
Am Vortag hatte die CDU-Chefin in einer Pressekonferenz bei der Nachlese des miserablen Europawahlergebnisses ihrer Partei unter anderem eine offensive Diskussion über politische »Meinungsmache« im Netz angeregt. »Was wäre eigentlich in diesem Lande los, wenn eine Reihe von ... 70 Zeitungsredaktionen zwei Tage vor der Wahl erklärt hätten, wir machen einen gemeinsamen Aufruf: Wählt bitte nicht CDU und SPD.« Das hätte zu heftigen Debatten geführt. »Und die Frage stellt sich schon mit Blick auf das Thema Meinungsmache, was sind eigentlich Regeln aus dem analogen Bereich und welche Regeln gelten eigentlich für den digitalen Bereich.«
Hintergrund dafür ist ein Wahlaufruf einer Reihe von YouTubern vor den Wahlen vom Sonntag gegen CDU und SPD. Zudem wurde die CDU in einem Video des YouTubers Rezo massiv angegangen. In vielen sozialen Netzwerken wurden Kramp-Karrenbauers Worte dahingehend verstanden, sie habe die Regulierung oder gar Zensur von Meinungsäußerungen im Internet vor Wahlen angeregt.
Bundesinnenminister Horst Seehofer nahm die CDU-Vorsitzende in Schutz: »So wie ich das gelesen und verstanden habe, hat sie unter keinen Umständen die Einschränkung der Meinungsfreiheit gemeint«, sagte der CSU-Politiker dem ARD-Hauptstadtstudio. Insofern sei er voll auf ihrer Linie.
Armin Laschet, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, machte sich bei einem Medienforum der Deutschen Welle in Bonn ausdrücklich für die Meinungsfreiheit stark und zitierte aus Artikel 5 des Grundgesetzes. »Jeder hat das Recht, seine Meinung zu äußern. Dafür gibt es keine Grenzen.« Der gelernte Journalist betonte: »Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut und dieser vor 70 Jahren formulierte Artikel gilt heute uneingeschränkt als Grundrecht.« Laschet fügte hinzu: »Da kann man schlauer werden als wir das in den vergangenen Tagen waren.«
EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) kritisierte erneut den Umgang seiner Partei mit dem Video und forderte eine Verjüngung der Partei. »Cool und jung ist keine schlechte Kombination«, sagte Oettinger (65) der Wochenzeitung »Die Zeit«. Die langatmige Abwehrreaktion der CDU sei ein Fehler gewesen. Die Partei müsse nun alles tun, um auch junge Köpfe in politische Funktionen zu bekommen.
Linnemann, der auch CDU/CSU-Fraktionsvize ist, sagte dem Sender n-tv: »Wir brauchen die freie Meinungsäußerung, und nichts anderes will auch Frau Kramp-Karrenbauer.« In dem millionenfach geklickten Video mit dem Titel »Die Zerstörung der CDU« hatte der YouTuber Rezo unter anderem gesagt, die CDU zerstöre »unser Leben und unsere Zukunft«. Linnemann sagte, die CDU sei von den Youtubern überrascht worden.
Auch Journalistenorganisationen sahen die Äußerungen Kramp-Karrenbauers kritisch. Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Frank Überall, sagte: »Annegret Kramp-Karrenbauers Äußerungen erwecken den fatalen Eindruck, dass sie das Grundrecht der Meinungsfreiheit schleifen will.« Der »Heilbronner Stimme« sagte er weiter: »Die CDU-Parteichefin hat offenkundig keinen Plan, wie man mit freien Meinungsäußerungen im Internet umgehen muss. Nämlich tolerant.«
Der Chef des Axel-Springer-Konzerns, Mathias Döpfner, der auch Präsident des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger ist, erklärte auf Anfrage: »Die Diskussion über Rezo und andere YouTuber läuft leider in die völlig falsche Richtung. Unabhängig davon, ob man Rezos politisches Weltbild teilt, muss man doch anerkennen, dass das moderner, innovativer und sehr wirkungsmächtiger Politikjournalismus ist.« Leitartikel in Zeitungen seien »in der Regel nicht weniger zugespitzt oder einseitig«.
Die medienpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Margit Stumpp, argumentierte, Kramp-Karrenbauer vermische »auf fatale Weise die legitime politische Meinungsäußerung von jungen Menschen im Netz mit der gezielten Desinformation antidemokratischer Kräfte, die dringender Regulierung bedarf.« Die YouTube-Videos von Rezo und anderen Social Media-Influencern »sind die moderne Form einer legitimen Kritik an politischen Kräften«.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der Links-Fraktion, Jan Korte, erklärte: »Dass die Forderung junger Leute nach Veränderung von der CDU mit dem Ruf nach Reglementierung beantwortet wird, sagt viel über den aktuellen Zustand der Union aus.« (dpa)
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