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Bundeswehr evakuiert Hunderte Menschen aus dem Sudan

Die Bundesregierung will das Zeitfenster für die Evakuierung aus dem Sudan möglichst lange nutzen. Zum Großaufgebot der Rettungsmission gehören auch das Kommando Spezialkräfte und die GSG9.

Pistorius und Baerbock
Verteidigungsminister Boris Pistorius und Außenministerin Annalena Baerbock geben ein Pressestatement im Auswärtigen Amt in Berlin zu den Evakuierungen im Sudan. Foto: Kay Nietfeld
Verteidigungsminister Boris Pistorius und Außenministerin Annalena Baerbock geben ein Pressestatement im Auswärtigen Amt in Berlin zu den Evakuierungen im Sudan.
Foto: Kay Nietfeld

Rennen gegen die Zeit: Die Bundeswehr und andere westliche Streitkräfte haben in den ersten beiden Tagen ihres militärischen Evakuierungseinsatzes mehr als 1000 Menschen aus dem Sudan gerettet. Die Luftwaffe flog Deutsche und andere Staatsbürger mit Militärtransportern aus dem von Kämpfen erschütterten Land aus. Sie brachte so etwa 400 Menschen in Sicherheit.

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) appellierten an die beiden Konfliktparteien, die auslaufende Feuerpause zu verlängern. Sie dankten außerdem den deutschen Einsatzkräften.

Der Schutz deutscher Staatsbürger im Sudan stehe im Vordergrund, sagte Pistorius. »Demzufolge wird die Operation auch noch fortgesetzt, bis auf Weiteres in enger Abstimmung mit dem Sudan und unseren Partnern«, sagte er. »Die Bundeswehr hat in beispielhafter Art und Weise gezeigt, wie kaltstartfähig sie ist, wie schnell sie sich auf eine solche Situation einstellen kann. Ohne jede Panne, ohne jedes Problem«, sagte er. Bundeskanzler Olaf Scholz sagte am Rande eines Nordsee-Gipfels zur Windkraft im belgischen Ostende: »Ich danke der Bundeswehr für diesen Einsatz.«

Baerbock sprach von einem Alptraum, der über den Sudan hereingebrochen sei. »Auch viele unserer Landsleute saßen tagelang unter Lebensgefahr fest, ohne Strom, zunehmend ohne Wasser und Vorräte. Es gab Plünderungen und entsetzliche Szenen auf den Straßen von Khartum«, sagte sie. Man müsse davon ausgehen, dass man sich nach dem Ende der Feuerpause am Abend »in einer anderen Lage befinden werde«. »Ob die Sicherheitslage in den nächsten Tagen weitere Evakuierungen erlauben wird, ist mehr als ungewiss«, sagte sie. »Wenn ihnen etwas an ihrem Land liegt, dann legen sie die Waffen nieder. Die Welt schaut auf sie.«

KSK und GSG9 beteiligt

Sammelpunkt des Einsatzes ist ein militärisch gesicherter Flugplatz nahe Khartum. Die Bundeswehr hält Fallschirmjäger mit größerer Ausrüstung bereit. Zudem war das Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr mit seinen Fähigkeiten beteiligt. Auch die für besondere Einsätze im In- und Ausland ausgebildete GSG 9 der Bundespolizei und die Einheit der Bundespolizei, die sich um den Schutz deutscher Diplomaten im Ausland kümmert, leistete einen Beitrag.

Der Sprecher des Bundesinnenministeriums, Maximilian Kall, teilte mit, »dass auch die Bundespolizei mit spezialisierten Einsatzkräften an dem Evakuierungseinsatz beteiligt ist«. Fünf deutsche Polizisten, die im Sudan an einer internationalen UN-Mission teilgenommen hatten, wurden nach Angaben des Bundesinnenministeriums als Teil der Evakuierung durch die Vereinten Nationen über Port Sudan außer Landes gebracht.

Vermutlich noch weitere Deutsche im Sudan

Das Auswärtige Amt geht davon aus, dass noch Deutsche vor Ort sind. Nicht beziffert werden könne, wie viele dies seien, »da wir auch einige nicht telefonisch erreichen im Moment«, sagte ein Sprecher. »Wir wissen auch, dass einige Deutsche auf anderen Wegen Khartum schon verlassen konnten. Es gibt eine zweistellige Zahl, die auf einem Konvoi der Vereinten Nationen Richtung Port Sudan unterwegs ist.« Außerdem waren ein Deutscher von US-Soldaten, neun Deutsche von Franzosen in Sicherheit gebracht worden. Unklar ist, ob noch Deutsche in der sudanesischen Hauptstadt festsitzen oder nicht selbstständig zu dem Sammelpunkt gelangen können.

Die Bundeswehr flog auch zahlreiche Menschen anderer Staaten aus Khartum aus. Nach einer vorläufigen Liste, die der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vorliegt, waren unter den 311 Evakuierten der ersten drei Flüge 42 Niederländer und mehr als 15 Österreicher. Zudem wurde eine einstellige Zahl Staatsangehöriger aus Australien, Bulgarien, Großbritannien, Belgien, Norwegen, Tschechien, Irland, Schweden und Portugal ausgeflogen. Mehr als die Hälfte der Evakuierten sind deutsche Staatsbürger.

Auf die Lage von Ortskräften deutscher Organisationen und Behörden angesprochen machte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes deutlich, dass die Situation anders sei als in Afghanistan. Baerbock sagte am Abend: »Die Situation in Sudan ist sehr schwierig, aber wie bereits gesagt, anders als in Afghanistan sind unsere Lokalbeschäftigten nicht einer speziellen Verfolgung ausgesetzt.« Und: »Das wäre eine rechtliche Voraussetzung für eine Evakuierung.«

Seit dem Beginn der Evakuierungsaktionen im Sudan sind nach Angaben des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell bereits mehr als 1000 Ausländer in Sicherheit gebracht geworden. Er danke den Ländern, die mit gemeinsamen Anstrengungen ihre eigenen Landsleute, aber auch andere Staatsangehörige aus dem Land gebracht hätten, sagte der Spanier am Rande eines EU-Außenministertreffens.

Im Sudan waren vor mehr als einer Woche schwere Kämpfe zwischen den zwei mächtigsten Generälen des Landes und ihren Einheiten ausgebrochen. Die zwei Männer führten das Land im Nordosten Afrikas mit rund 46 Millionen Einwohnern seit zwei gemeinsamen Militärcoups 2019 und 2021. De-facto-Präsident Abdel Fattah al-Burhan, der auch Oberbefehlshaber der Armee ist, kämpft mit dem Militär gegen seinen Stellvertreter Mohammed Hamdan Daglo, den Anführer der mächtigen paramilitärischen Gruppe Rapid Support Forces (RSF). Eigentlich hätten die RSF der Armee unterstellt und die Macht im Land wieder an eine zivile Regierung übertragen werden sollen.

Hunderte Tote, Tausende Verletzte

Nach Angaben der UN sind seit Beginn des Konflikts mindestens 427 Menschen getötet und 3700 verletzt worden, die eigentliche Opferzahl wird jedoch als wesentlich höher vermutet. Während ausländische Regierungen weiter ihre Staatsbürger evakuieren, flüchten Zehntausende Sudanesen unter Lebensgefahr auf dem Landweg in Nachbarländer, unter anderem in den Tschad, nach Ägypten und in den Südsudan.

© dpa-infocom, dpa:230423-99-415207/35