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Brasiliens deutscheste Stadt hofft auf Bolsonaros Wiederwahl

Der brasilianische Staatschef gilt als rassistischer Rüpel, der die Pandemie verharmlost und den Regenwald auf dem Gewissen hat. Trotzdem kann der Ex-Militär auf breite Unterstützung zählen.

Pomerode
Die brasilianische Flagge, einst Symbol für die Freundschaft zwischen Deutschland und Brasilien, steht in Pomerode für die Unterstüztung der aktuellen Regierung von Präsident Bolsonaro. Foto: Henry Milleo
Die brasilianische Flagge, einst Symbol für die Freundschaft zwischen Deutschland und Brasilien, steht in Pomerode für die Unterstüztung der aktuellen Regierung von Präsident Bolsonaro.
Foto: Henry Milleo

Vor dem Restaurant »Wunderwald« in Pomerode hängen die brasilianische und die deutsche Flagge, in der Gaststube des schmucken Fachwerkhauses werden Schlachtplatte, Eisbein und Gulasch serviert. Einwanderer aus Pommern gründeten einst das kleine Städtchen. Heute gilt es als der deutscheste Ort Brasiliens, weil der Anteil deutschstämmiger Einwohner besonders hoch ist.

Und Pomerode ist eine Hochburg des rechten Präsidenten Jair Bolsonaro. Bei der ersten Runde der Präsidentenwahl vor drei Wochen stimmten mehr als 73 Prozent der Wähler für den Amtsinhaber, sein linker Herausforderer Luiz Inácio Lula da Silva kam gerade mal auf gut 18 Prozent.

Auch bei der Stichwahl am kommenden Sonntag kann Bolsonaro wieder auf seine treuen Anhänger in Pomerode zählen. »Er ist der beste Präsident, den Brasilien je hatte«, sagt »Wunderwald«-Besitzer Sebastião Mazico Bernardino. Er habe die Wirtschaft angekurbelt und für Sicherheit gesorgt. »Wissen Sie, warum das Haus da drüben keine Gitter vor den Fenstern hat? Wenn sich einer nähert, bekommt er eine Ladung Schrot ab«, sagt der 63-Jährige.

15 Schützenvereine in Pomerode

Schützenvereine sind ein Erbe der deutschen Einwanderer, allein in Pomerode gibt es 15. Unter Bolsonaro haben die Brasilianer ordentlich aufgerüstet: Der Ex-Militär lockerte das Waffenrecht, und die Zahl der legalen Schusswaffen in den Händen von Zivilisten stieg während seiner Amtszeit um 187 Prozent auf über eine Million.

So wehrte sich etwa auch der prominente Bolsonaro-Unterstützer Roberto Jefferson, ehemaliger Abgeordneter und früherer Vorsitzender der Partei des religiösen Präsidentschafskandidaten Padre Kelmon, mit Waffengewalt gegen seine Festnahme. Zwei Polizisten wurden durch Granatsplitter verletzt. Die Bundespolizei ermittelt nun wegen versuchten Mordes gegen ihn, wie ein Polizei-Sprecher der Deutschen Presse-Agentur am Montag bestätigte. Bolsonaro verurteilte auf Twitter zwar das bewaffnete Vorgehen Jeffersons. Er schickte aber auch Justizminister Anderson Torres nach Rio de Janeiro, wo Jefferson in Haft genommen wurde, um den Fortgang des »bedauerlichen Vorfalls« zu begleiten.

Amtsinhaber schnitt in erster Wahlrunde überraschend stark ab

Im Ausland gilt Bolsonaro als vulgärer Rüpel, der Frauen, Schwarze und Indigene beleidigt, bei Wahlkampfauftritten mit seiner Potenz protzt und den Regenwald auf dem Gewissen hat. Doch in Brasilien kann er auf breite Unterstützung zählen. Entgegen aller Umfragen kam er in der ersten Wahlrunde auf starke 43,6 Prozent knapp hinter Lula.

Bolsonaro hat immer wieder Zweifel am Wahlsystem gestreut und angedeutet, das Ergebnis möglicherweise nicht anzuerkennen. Radikale Anhänger des Hauptmanns der Reserve forderten bei Demonstrationen unverhohlen einen Militärputsch gegen die Justiz, die ihn mehrfach in die Schranken wies.

Die Ideologie des 67-Jährigen wird als »Bala, Boi e Bíblia« (Kugel, Vieh, Bibel) beschrieben. Die Waffenlobby, die mächtigen Landwirte und die Evangelikalen sind seine Wählerbasis.

Auch im kleinen Pomerode, das etwa auf der Hälfte der Strecke zwischen Sao Paulo und Porto Allegre liegt, fallen die vielen evangelikalen Kirchen auf. Gilvan da Silva Marinho, der andächtig auf einer Bank unter dem Maibaum sitzt, ist ebenfalls Mitglied einer protestantischen Freikirche. In seiner Gemeinde kennt der 59-Jährige keinen, der Lula wählen würde. »Bolsonaro hat den Segen des Pastors, weil er ehrlich ist«, sagt er.

Korruptionsvorwürfe gegen Bolsonaro

Im Wahlkampf hat Bolsonaro seinen Rivalen Lula immer wieder als Dieb bezeichnet. 2018 wurde Lula wegen Korruption und Geldwäsche zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Im vergangenen Jahr hob ein Richter am Obersten Gerichtshof das Urteil auf - allerdings nur aus formalen Gründen. Aber auch gegen Bolsonaro gibt es Korruptionsvorwürfe. So sollen er und seine Angehörigen in den vergangenen 30 Jahren über 100 Immobilien erworben haben - rund die Hälfte wurde Medienberichten zufolge in bar bezahlt.

Doch für viele seiner Anhänger ist Bolsonaro schlicht das letzte Bollwerk gegen die Roten. »Er verteidigt die Werte der Mehrheit hier, die Familie, die Arbeit«, sagt Restaurant-Mitarbeiterin Fernanda Flohr Renke. »Der Süden von Brasilien ist sehr entwickelt. Die meisten unterstützen ihn, weil sie nicht wollen, dass der Kommunismus ins Land kommt.«

Bolsonaro ist es gelungen, die zuvor gespaltene Rechte hinter sich zu vereinen. In der ersten Wahlrunde zogen viele seiner Gefolgsleute in den Kongress ein oder eroberten Gouverneursposten. »Zu den Kernwählern gehören Leute, die Bolsonaros Aussagen im Laufe der Zeit übernommen haben«, sagt die Politikwissenschaftlerin Camila Rocha. Sie kritisieren etwa die traditionellen Medien, sprechen von Gott, Vaterland und Freiheit.

Viele Brasilianer wollen Lula verhindern

Bolsonaro profitiert außerdem davon, dass viele Brasilianer eine weitere Amtszeit von Ex-Präsident Lula (2003-2010) um jeden Preis verhindern wollen. »In Brasilien ist Lula sehr umstritten«, sagt der deutsch-brasilianische Politikwissenschaftler Oliver Stuenkel von der Stiftung Getúlio Vargas. »Auch wegen dem, was nach seinen Amtszeiten passiert ist.« Mit der Fußball-WM 2014 und den Olympischen Spielen 2016, für die seine Regierung die Zuschläge bekommen hatte, übernahm sich das aufstrebende Land. Mehr als zwei Millionen Menschen demonstrierten damals für Schulen und Krankenhäuser statt Stadien.

»Bolsonaro hat eine klare Linie, ist direkt, vielleicht mehr wie ein Deutscher. Das gefällt mir sehr«, sagt Rogério Siewert auf Deutsch. Seine Vorfahren setzten 1868 von Hamburg nach Brasilien über. In einem Haus am Ende von Pomerodes Fachwerk-Straße zeigt er Besuchern wie seine Ahnen damals lebten. »Mit Bolsonaro können wir wieder stolz auf Brasilien sein.«

© dpa-infocom, dpa:221024-99-240874/3