Wenn Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei Wahlkampfauftritten die Bühne betrat, dann hüpfte er meist im Laufschritt nach oben. Am Wahlabend aber tritt der wiedergewählte Präsident nur langsam vor seine Fans.
Es folgen keine gen Himmel gereckte Faust, keine visionäre Rede, stattdessen eine demütig aufs Herz gelegte Hand: Strahlende Sieger sehen anders aus. Macron steht am Sonntagabend vor dem Eiffelturm als einer, der weiß, dass sein Erfolg über die rechtsnationale Marine Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen ein zerbrechlicher ist - auch wenn diese Erkenntnis außerhalb Frankreichs im ersten kollektiven Aufatmen untergeht.
Freudenbotschaften aus diversen Hauptstädten
Jedenfalls machten Freudenbotschaften aus europäischen Hauptstädten sofort nach Verkündung der Hochrechnungen die Runde. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) rühmt Macrons Wiederwahl als ein »starkes Bekenntnis zu Europa«, der griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis spricht von einem »wichtigen Sieg für Frankreich, Europa und die Demokratie«. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sieht eine klare Entscheidung für Macron und im vereinten Europa »die größte Gewinnerin dieser Wahl«.
Und zum Teil stimmt es ja auch. Die Franzosen haben sich gegen eine Zukunft unter einer Präsidentin entschieden, die mit nationalistischen Forderungen Chaos in der EU gestiftet hätte und eine Schlechterstellung von Ausländern zu einer ihrer Kernforderungen gemacht hat. Doch immerhin 41,46 Prozent der Wähler hatte mit diesen und anderen radikalen Programmpunkten offenbar kein Problem. Sicher: Macron ist das seltene Kunststück gelungen, als französischer Präsident wiedergewählt zu werden. Aber sein Rückhalt in der Bevölkerung ist gering.
Alle zusammen gegen die Rechtsnationale
Macrons Sieg, das ist eben keine Bestätigung seiner ersten Amtszeit, seiner Europafreundlichkeit, seines Liberalismus oder seiner für viele nicht greifbaren Wahlkampfforderungen. Sein Sieg ist das Sich-Zusammenraufen etlicher linker, grüner, sozialdemokratischer und konservativer Kräfte gegen die Rechtsnationale im Land. Und auch dieses früher solide Bündnis steht längst nicht mehr so sicher da wie noch vor fünf Jahren. Macron hatte das rechte Lager eigentlich zurückdrängen wollen. Stattdessen hat dieses während seiner Amtszeit schleichend Teile der bürgerlichen Wählerschichten erobert.
»Es liegt kein Jubel im Sieg von Emmanuel Macron«, sagt der Politologe Brice Teinturier im Sender France Inter. Le Pen habe es geschafft, dass viele sie explizit für ihr Programm gewählt hätten und nicht etwa aus Protest - ein Erfolg von Le Pens Strategie der »Ent-Extremisierung«, wie der Wissenschaftler es nennt. Die 53-Jährige selbst verkündet für sich einen »strahlenden Sieg« - wohl auch, weil sie für ihre Rechtsaußen-Parteienfamilie ein historisch starkes Ergebnis einfuhr.
Große Erleichterung in der EU
Trotz alldem ist es nicht verwunderlich, dass in Europa nun Erleichterung herrscht. Mit Le Pen wäre die EU wohl in weiten Teilen handlungsunfähig gewesen. Ihre Vorhaben wie das, nationales Recht über EU-Recht stellen zu wollen, hätten außerdem erbitterten Streit zwischen Paris und den EU-Institutionen bedeutet. Dann doch lieber Macron. Der ist zwar in EU bei weitem nicht jedermanns Liebling - betreibt er doch hinter den Kulissen teils rücksichtslose Interessenpolitik für sich und sein Land. Aber grundsätzlich will er glaubhaft an einer Vertiefung der Europäischen Union arbeiten und deren Grundfesten nicht antasten.
Wie gut der deutsch-französische Motor in Europa mit dem noch recht neuen Bundeskanzler Scholz funktioniert, wird sich jetzt - nach der Wiederwahl Macrons - erst zeigen. Die ganze Ukraine-Krise über wirkte Macron deutlich aktiver, war Scholz immer einen Schritt voraus. Als Angela Merkel noch Kanzlerin war, schien es zumindest noch umgekehrt. Merkel galt als die erfahrene Strategin an der Spitze Europas, während Macron sich in seiner ersten Amtszeit erst noch profilieren musste.
Parlamentswahlen als nächste Hürde
Doch ob Brüssel und Berlin weiterhin auf ein starkes Frankreich am Verhandlungstisch und als Treiber wichtiger Reformen bauen können, steht noch in den Sternen. Mitte Juni muss Macron bei den Parlamentswahlen eine Mehrheit holen. Ansonsten könnte es für den Staatschef äußerst kompliziert werden, seine Vorhaben umzusetzen.
Und eine weitere Frage stellt sich. Wer kommt im tief gespaltenen Frankreich eigentlich nach Macron? Der Präsident ist mit 44 Jahren zwar jung, darf aber nach zwei Amtszeiten nicht erneut antreten. Die traditionellen Volksparteien der Sozialisten und Republikaner hat er plattgemacht. Wenn Frankreich es ernst damit meint, keine Rechte als Präsidentin haben zu wollen, dann muss in den kommenden Jahren vor allem auch ein Nachfolger für Macron her, der es mit Le Pen oder deren Nachfolger an der Spitze der Nationalisten aufnehmen kann.
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