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Bessere Versorgung mit Medikamenten: Brüssel legt Reform vor

Kein Fiebersaft für das Kleinkind, Engpässe bei Krebsmedikamenten: Mängel in der medizinischen Versorgung können jeden treffen. Die EU-Kommission hat deshalb ein großes Reform-Paket vorgelegt.

Medikamente
Ein automatisiertes Medikamentenlager in einer Apotheke. Foto: Jan Woitas
Ein automatisiertes Medikamentenlager in einer Apotheke.
Foto: Jan Woitas

Engpässe bei Medikamenten, überhöhte Preise und eine ungleiche Versorgung der EU-Staaten mit neuen Arzneimitteln sollen nach dem Willen der EU-Kommission der Vergangenheit angehören. Die Brüsseler Behörde schlug am Mittwoch eine umfassende Reform der 20 Jahre alten Pharma-Gesetzgebung für Europa vor. Ziel ist zugleich, die Entwicklung neuer Präparate anzukurbeln und die heimische Industrie wettbewerbsfähig zu halten.

»Dies ist ein historischer Tag für Bürger, Patienten und die Industrie«, sagte Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides. Der europäische Verbraucherverband Beuc begrüßte die Vorschläge als Schritt in die richtige Richtung, forderte jedoch weitere Schritte insbesondere gegen Versorgungslücken und hohe Preise. Die großen Pharma-Konzerne hätten »wie verrückt Lobbyarbeit« betrieben, um ihre Gewinne zu schützen, beklagte Generaldirektorin Monique Goyens. Der Präsident des Europäischen Pharmaverbands (EFPIA), Hubertus von Baumbach, warnte dagegen, die Vorschläge gefährdeten die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie.

Wie sehen die Vorschläge, über die die EU-Staaten und das Europaparlament nun verhandeln müssen, im Detail aus? 

Engpässe besser überwachen, Schwachstellen in Lieferketten angehen

Spätestens während der Corona-Pandemie wurde deutlich, wie abhängig Europa bei der Versorgung mit Medikamenten und Ausrüstung von anderen Teilen der Welt ist. Im Winter gab es dann Lieferengpässe bei Antibiotika, patentfreien Medikamenten wie Fiebersäften für Kinder und Krebsmedikamenten. Die Bundesregierung hat bereits ein Gesetz auf den Weg gebracht, nun soll auch etwas auf EU-Ebene geschehen.

Konkret plant die Kommission, eine Liste besonders wichtiger Präparate anzulegen. Schwachstellen in den Lieferketten dieser Medikamente sollen angegangen werden. Unternehmen sollen dazu verpflichtet werden, Versorgungslücken und den Rückruf von Medikamenten früher zu melden und Vorsorgepläne erstellen.

Präparate in der gesamten EU verfügbar machen

Die 27 EU-Staaten teilen zwar einen Binnenmarkt - bei der Versorgung mit Medikamenten gilt das allerdings längst nicht. In westlichen und größeren Ländern wie Deutschland hätten die Patienten Zugang zu 90 Prozent neuer Arzneimittel, sagte Kyriakides. In den östlichen und kleineren Staaten seien es nur 10 Prozent. Die EU-Kommission will nun mit Anreizen dafür sorgen, dass die Bürgerinnen und Bürger aller EU-Staaten Zugang zu neuen Medikamenten haben. Konkret soll der Kommission zufolge das System für den Schutz neuer Präparate vor der Konkurrenz durch Nachahmerprodukte wie Generika überarbeitet werden.

Bislang dürfen derlei Generika spätestens elf Jahre nach der Zulassung des ursprünglichen Präparats in Europa auf den Markt. Nach Vorstellung der Kommission könnten es künftig zwar bis zu zwölf Jahre werden. Der Standardschutz soll jedoch nur noch acht anstelle von zehn Jahren betragen. Für eine Verlängerung müssen die Unternehmen Kriterien erfüllen, die den Zielen der EU-Kommission entsprechen. So können etwa weitere zwei Jahre hinzukommen, wenn ein Unternehmen sein neues Medikament in allen EU-Staaten auf den Markt bringt. Allein dadurch könnten nach Angaben der EU-Kommission bis zu 67 Millionen weitere Menschen von einem neuen Medikament profitieren.

Auch die Entwicklung eines bislang fehlenden Medikaments soll mit einem weiteren halben Jahr Schutz belohnt werden. Zugleich will die EU-Kommission sicherstellen, dass Generika an Tag eins nach Ablaufen des Monopol-Schutzes auf den Markt kommen - und dass bürokratische Hürden die Zulassung nicht verzögern.

Die »stille Pandemie« - Was tun gegen Antibiotikaresistenzen? 

Nach EU-Schätzungen sterben jedes Jahr mehr als 35 000 Menschen in Europa aufgrund von Antibiotikaresistenzen. Damit handelt es sich um die drittgrößte Gefahr für die öffentliche Gesundheit - nach Erregern mit hohem Pandemiepotenzial sowie chemischen, biologischen oder nuklearen Bedrohungen. EU-Kommissionsvize Margaritis Schinas sprach von einer »stillen Pandemie«.

Die Kommission schlug nun vor, die Entwicklung bahnbrechender Antibiotika attraktiver zu machen. Konkret könnten Unternehmen, die ein solches Präparat herstellen, künftig einen Gutschein über den Schutz der Daten eines Medikaments - also eines Monopols - für ein weiteres Jahr erhalten. Dieser Gutschein soll nicht an das neue Antibiotikum gebunden sein und könnte auch verkauft werden.

Die Kosten für einen solchen Gutschein für die nationalen Gesundheitssysteme liegen nach Angaben einer EU-Beamtin bei rund 500 Millionen Euro. Diese werden nach Angaben der Kommission jedoch weitgehend durch vermiedene Todesfälle und Krankheiten ausgeglichen. In der gesamten EU sollen innerhalb von 15 Jahren nicht mehr als 10 Gutscheine vergeben werden. Die EU-Kommission legte zudem nicht bindende Empfehlungen gegen die resistenten Erreger vor, die vor allem auf zurückhaltenden Gebrauch von Antibiotika abzielen.

Zulassung beschleunigen, Bürokratie abbauen und mehr Umweltschutz

Grundsätzlich sollen neue Medikamente nach dem Vorschlag der EU-Kommission künftig schneller zugelassen werden. Die Europäische Arzneimittelagentur EMA soll im Regelfall innerhalb von 180 statt 210 Tagen ihre Einschätzung abgeben, die Zulassung der EU-Kommission soll innerhalb von 46 statt 67 Tagen erfolgen. Unter anderem durch mehr Digitalisierung sollen bürokratische Verfahren entschlackt werden. Die öffentliche Finanzierung der Entwicklung neuer Medikamente soll transparenter werden. Zudem sollen bestehende Regeln zum Schutz der Umwelt durch Arzneimittel besser durchgesetzt werden.

Mitteilung der EU-Kommission zur Pharma-Reform

Fragen und Antworten der EU-Kommission zur Pharma-Reform

Fragen und Antworten der EU-Kommission zu Empfehlungen gegen Antibiotikaresistenzen

© dpa-infocom, dpa:230426-99-458587/3