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Berliner entscheiden über mehr Tempo beim Klimaschutz

Soll Berlin beim Klimaschutz mehr tun? Bei einem Volksentscheid können die Bürger darüber befinden. »Der Politik Ziele setzen!« - ruft ein Bündnis auf. Die Frage ist, ob Klimaneutralität bis 2030 machbar ist.

Volksentscheid Berlin 2030 Klimaneutral
Bei einem Volksentscheid können Berlinerinnen und Berliner darüber abstimmen, ob die Hauptstadt bis 2030 klimaneutral werden soll. Foto: Christophe Gateau
Bei einem Volksentscheid können Berlinerinnen und Berliner darüber abstimmen, ob die Hauptstadt bis 2030 klimaneutral werden soll.
Foto: Christophe Gateau

Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden. Die EU will bis 2050 soweit sein. Berlin soll dieses Ziel in sieben Jahren schaffen - wenn es nach den Initiatoren eines in dieser Form bisher einmaligen Volksentscheids geht. Am Sonntag können Berlinerinnen und Berliner darüber abstimmen, ob es auf dem Weg zur Klimaneutralität in der Hauptstadt deutlich mehr Tempo geben soll. Das Bündnis »Klimaneustart« hat monatelang Unterschriften gesammelt und die Abstimmung durchgesetzt.

Bislang ist nach dem Berliner Energiewendegesetz vorgesehen, die klimaschädlichen Kohlendioxid-Emissionen bis 2030 im Vergleich zu 1990 um 70 Prozent zu senken und spätestens 2045 klimaneutral zu werden. Das geht den Initiatoren des Volksentscheids aber nicht schnell genug. Sie fordern eine Verpflichtung auf eine Verringerung um mindestens 70 Prozent bis 2025 und um mindestens 95 Prozent bis 2030.

In wenigen Jahren Klimaneutralität - unrealistisch?

Klimaneutralität in Berlin schon in wenigen Jahren, also kaum noch Emissionen etwa von Verbrennerautos, Flugzeugen, Heizungen, Kraftwerken oder Industriebetrieben? Der rot-grün-rote Berliner Senat hatte das für unrealistisch erklärt und die im Volksentscheid geforderte Gesetzesänderung abgelehnt. Er argumentiert, Berlin könne Klimaneutralität nicht im Alleingang 15 oder 20 Jahre früher als im Bund oder EU-weit erreichen. Im Landesparlament stimmten sämtliche Fraktionen gegen das Anliegen der Initiative. Berlins CDU-Landeschef Kai Wegner sprach sich am Freitag klar gegen die Ziele des Volksentscheids aus. »Wir haben eine Verantwortung für die Zukunft dieser Stadt, und da geht es natürlich um Klimaschutz«, sagte Wegner, der wahrscheinlich neuer Regierungschef wird, am Rande der Koalitionsverhandlungen. »Aber wir haben auch eine Verantwortung für die Bezahlbarkeit dieser Stadt, wir haben eine Verantwortung für die Versorgungssicherheit, was Energie angeht.« Berlins Noch-Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey teilt Wegners Einschätzung: »Wir finden wichtig, dass das Thema vorangebracht wird, aber es ist nicht möglich, dass Berlin bis 2030 klimaneutral ist. Und das muss man den Leuten auch klipp und klar erklären. Alles andere ist Augenwischerei«, sagte die SPD-Politikerin.

Viele Menschen in Berlin scheinen das anders zu sehen. In den Wochen vor dem Volksentscheid solidarisierten sich neben Fridays for Future und anderen Klimaschützern etwa der Mieterverein, die Arbeiterwohlfahrt oder bestimmte Unternehmer mit dem Anliegen, auch Grüne und Linke. Breite Unterstützung kam von Kulturschaffenden, die für Samstag eine große Demonstration nebst Konzert vor dem Brandenburger Tor mit etlichen Stars auf die Beine stellten. Zehntausende Teilnehmer erwarten Veranstalter und Polizei.

Hohe Hürden bei der Abstimmung

Bei der Abstimmung am Sonntag sind die Hürden allerdings recht hoch. Denn es reicht nicht aus, dass die Befürworter in der Mehrheit sind. Damit das von der Initiative erarbeitete verschärfte Gesetz in Kraft tritt, müssen mindestens 25 Prozent der gut 2,4 Millionen Wahlberechtigten mit Ja stimmen. Das sind rund 608.000.

Bei der Frage, ob Klimaneutralität bis 2030 überhaupt erreichbar ist, zeigt sich in der Wissenschaft viel Skepsis. So kam das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) in Berlin 2021 in einer Studie im Auftrag des Senats zu der Einschätzung, Klimaneutralität sei in der Hauptstadt nicht vor 2042 zu erreichen. Auch der Wissenschaftler am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, Fritz Reusswig, hält ein klimaneutrales Berlin bis 2030 nicht für machbar.

Allerdings ist er nicht der einzige, der das politische Signal eines erfolgreichen Volksentscheids dennoch für wichtig hielte, damit die Politik beim Thema Klimaschutz schneller in die Gänge kommt. Die wichtigsten Stellschrauben auf dem Weg zur Klimaneutralität sind bekannt: energetischen Sanierung von Gebäuden, fossilfreie Energie- und Wärmeerzeugung, Ausbau des ÖPNV und emissionsfreie Autos vor allem mit E-Antrieb. Nötig wären dafür allein in Berlin Investitionen in zwei- oder dreistelliger Milliardenhöhe - unabhängig vom Jahresziel der Klimaneutralität.

Die Abstimmung findet gerade mal sechs Wochen nach der Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl statt - und mitten in die Koalitionsverhandlungen von CDU und SPD. Die beiden Parteien wollen in Berlin eine neue schwarz-rote Landesregierung bilden. Sie kündigten an, in den kommenden Jahren mindestens fünf Milliarden Euro für mehr Klimaschutz in der Stadt ausgeben zu wollen. Kritiker hielten beiden Parteien vor, mit der Ankündigung zu den Milliardeninvestitionen dem Volksentscheid den Wind aus den Segeln nehmen zu wollen.

Ehrgeizigere Klimaziele: Berlin steht nicht alleine da

Berlin würde als Stadt mit ehrgeizigeren Klimazielen nicht alleine dastehen. Nach Angaben des Vereins German Zero visieren in Deutschland etwa 70 Städte von München und Münster das Ziel an, bis spätestens 2035 klimaneutral zu werden. Auch wenn Berlin nicht die erste Stadt sei, die diesen Weg gehe: »Die Hauptstadt kann ein 3,6 Millionen Menschen großer Leuchtturm sein, der zeigt, welche transformative Kraft von Städten ausgeht - und von deren Bürgerinnen und Bürgern«, sagt Geschäftsführer Julian Zuber.

Auf europäischer Ebene unterstützt die EU-Kommission 100 Kommunen, die bis 2030 an der »EU-Mission für klimaneutrale und intelligente Städte« teilnehmen. Eine davon ist Kopenhagen. Die dänische Hauptstadt sieht sich als Vorreiter in Sachen Klimaschutz. Sie warb sogar lange mit dem Ziel, schon 2025 als erste Hauptstadt der Welt klimaneutral zu sein. Das Ziel musste Oberbürgermeistern Sophie Hæstorp Andersen im vergangenen Sommer jedoch zerknirscht aufgeben. Die Hoffnung ist nun, bis 2030 klimaneutral zu sein.

Andere Kommunen im EU-Programm sind noch nicht soweit. So sind nach Angaben der Umweltorganisation Legambiente Italiens Städte, darunter Rom, noch weit vom Ziel entfernt, bis 2030 klimaneutral zu werden.

© dpa-infocom, dpa:230324-99-77062/6