Außenministerin Annalena Baerbock hat den baltischen Staaten eine stärkere Beteiligung Deutschlands an der Verteidigung der Nato-Ostflanke versprochen.
»Wenn die Nato entscheidet, dass die Präsenz der Nato auf Brigadenstärke erhöht werden soll, dann werden wir als Bundesrepublik Deutschland dafür einen substanziellen Beitrag leisten«, kündigte die Grünen-Politikerin am Freitag nach einem Treffen mit ihrem Amtskollegen Gabrielius Landsbergis in Litauens Hauptstadt Vilnius an. »Ich habe hier verstanden, dass das nötig ist. Und dann wird Deutschland dort vorangehen.«
Eine Brigade besteht üblicherweise aus mehreren Tausend Soldaten. Baerbock versicherte, Deutschland werde sich an einer verstärkten langfristigen Nato-Präsenz im Baltikum mit zusätzlichen Beiträgen beteiligen.
Baerbock: Keine Lippenbekenntnisse
Die Nato will bei einem Gipfeltreffen Ende Juni in Madrid ihr neues Verteidigungskonzept beschließen. Baerbock sagte, auf dem Gipfel brauche es »nicht nur Lippenbekenntnisse«. Angesichts des brutalen russischen Vorgehens in der Ukraine sei »Luftverteidigung und eine substanzielle Nato-Präsenz« notwendig. »Wir müssen praktisch in der Lage sein, jeden Quadratzentimeter unseres gemeinsamen Bündnisgebietes, das heißt des Baltikums, zu verteidigen. Und zwar ab der ersten Minute«, sagte die Ministerin.
Nachdem man immer wieder versucht habe, gemeinsame Sicherheit in Europa mit Russland als Partner zu erreichen, zwinge der russische Präsident Wladimir Putin die Nato nun zu einem neuen Kurs, sagte Baerbock. »Es geht heute in erster Linie um Sicherheit vor Russland« und die Frage, »wir uns als Bündnis mittel- und langfristig gegenüber Russland aufstellen.«
Ministerin: Stolperdrahtlogik gescheitert
Die bisherige »Stolperdrahtlogik« der Nato zur Verteidigung des Baltikums reiche nicht mehr aus, sagte Baerbock. Nach dieser Logik würde das baltische Territorium im schlimmsten Fall von russischen Truppen überrollt, im Anschluss müsse die Nato das Baltikum wieder befreien. Nach den russischen Kriegsverbrechen von Butscha und Mariupol in der Ukraine sei »diese Vorstellung von einer Befreiung danach nicht mehr akzeptabel«, sagte die Ministerin. Wenn man eine hunderte Kilometer lange Grenze zu Russland habe, »dann gibt es eben keine Reaktionszeit, um auf Verstärkung zu warten«.
Landsbergis sagte, in den Beschlüssen des Madrider Nato-Gipfels müsse sich widerspiegeln, dass sich das Sicherheitsumfeld durch die russischen Handlungen grundsätzlich verändert habe. »Die Nato muss bereit sein, die baltischen Staaten von der ersten Minute an des Konflikts zu verteidigen.« Dazu sei die Stationierung von mehr Nato-Soldaten in den baltischen Staaten notwendig. An Baerbock gewandt ergänzte er: »Wir sind Deutschland dankbar für die zusätzlichen Soldaten, die bereits nach Ausbruch des russischen Krieges hierher gesendet worden sind. Aber um jeden Quadratzentimeter wirklich zu verteidigen, sind ernsthaftere Einheiten notwendig.«
Baltenstaaten für stärkere Nato-Präsenz
Die Regierungschefs von Lettland, Estland und Litauen machten sich für einen stärkeren Nato-Beistand stark. »Wir fordern nicht nur eine ständige Nato-Präsenz, sondern eine neue Art von Nato-Präsenz«, sagte Gastgeber Krisjanis Karins nach einem Treffen mit Kajas Kallas (Estland) und Ingrida Simonyte (Litauen). Diese neue Präsenz müsse auf der Prämisse basieren, dass eine Invasion nicht stattfinden werde, »weil unsere Fähigkeit, uns zu verteidigen und den Sieg zu erringen vom ersten Tag an klar wäre«,
Die drei EU- und Nato-Länder verwiesen zugleich auch auf ihre eigenen Anstrengungen, um ihre Verteidigungsfähigkeit zu erhöhen. »Wir alle drei haben unabhängig voneinander, aber wie sich herausstellte gemeinsam entschieden, unsere Verteidigungsausgaben auf 2,5 Prozent der Bruttoinlandsproduktes zu erhöhen«, sagte Karins. Lettland und Estland wollen dies bis 2025 erreichen, Litauen etwas später.
Baerbock dankt deutschen Soldaten
Bei einem Besuch des von Deutschland geführten multinationalen Nato-Gefechtsverbands im litauischen Rukla sagte Baerbock: »Hier wird nicht nur die Sicherheit des Baltikums garantiert, sondern hier wird die europäische Sicherheit garantiert.« Wenn Deutschland künftig an der Nato-Nordflanke stärkere Präsenz zeigen solle, »müssen wir auch garantieren, dass die Logistik, dass die Infrastruktur und vor allen Dingen, dass das Material hierfür zur Verfügung gestellt wird«.
Baerbock hatte sich vom Kommandeur des Bataillons, Oberstleutnant Daniel Andrä, über die Arbeit der Soldaten informieren lassen. Unter anderem ließ sie sich das leichte Flugabwehrsystem Ozelot zeigen, das erst vor wenigen Wochen auf den Standort verlegt wurde. Einen Sanitäts-Radpanzer vom Typ Boxer besichtigte sie von innen.
Der multinationale Verband war vor dem Hintergrund der russischen Aggression gegen die Ukraine schon vor Kriegsbeginn durch zusätzliche Kräfte aus Deutschland, Norwegen und anderen Staaten von rund 1200 auf etwa 1600 Soldatinnen und Soldaten verstärkt worden. Mit derzeit gut 1000 Soldatinnen und Soldaten stellt die Bundeswehr das größte Kontingent. Deutschland führt die »Enhanced Forward Presence Battle Group« (EFP), wie der Verband im Nato-Jargon heißt, seit 2017. An dem Bataillon beteiligen sich auch Soldaten aus Belgien, Frankreich, Island, den Niederlanden, Kroatien, Norwegen und Luxemburg.
© dpa-infocom, dpa:220422-99-03172/5