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Arbeitgeberpräsident fordert Abkehr von Rente mit 63

Mehr Menschen als erwartet nutzen die Möglichkeit zur abschlagsfreien Rente nach 45 Versicherungsjahren. Aus Sicht der Arbeitgeber passt das nicht in die Zeit.

Rainer Dulger
BDA-Präsident Rainer Dulger Foto: Kay Nietfeld
BDA-Präsident Rainer Dulger
Foto: Kay Nietfeld

Vor der angekündigten Rentenreform der Bundesregierung macht sich Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger für eine Abkehr von der Rente ab 63 in der heutigen Form stark. »Die Rente ab 63 hat zu einem Braindrain geführt«, sagte Dulger der Deutschen Presse-Agentur.

Gleichzeitig ist die Zahl der Älteren, die im Alter ab 67 Jahren noch einer Beschäftigung nachgehen, gestiegen, wie eine Antwort der Bundesregierung auf eine Frage der Linken im Bundestag zeigt, die der dpa vorliegt. Nach den aktuellsten Daten waren im März 1,067 Millionen abhängig Beschäftigte 67 Jahre und älter. Das RedaktionsNetzwerk Deutschland berichtete zuerst hierüber.

Dulger forderte von der Politik Schritte für mehr Beschäftigung Älterer. So stünden wegen der »Rente ab 63« viele hoch qualifizierte Arbeitskräfte nicht mehr zur Verfügung. »Das hat einfach wehgetan. Das hat die Unternehmen geschwächt.« Auch die Frühverrentung in Betrieben sei ein Fehler gewesen, räumte Dulger ein. Die damalige Koalition von Union und SPD hatte die vorgezogene Altersrente ohne Abschläge ab 45 Jahren Versicherungszeit 2014 eingeführt. Alle vor 1953 Geborenen konnten ohne Abschläge mit 63 Jahren in Rente gehen; bei Jüngeren verschiebt sich mit steigendem Renteneintrittsalter der Start der abschlagsfreien Rente.

Dulger spricht von Automatismus

Bei der Einführung hatte die Regierung jährlich rund 200.000 Antragsteller für die abschlagsfreie Rente prognostiziert. Nach Auskunft der Rentenversicherung wurden vergangenes Jahr rund 257.000 Anträge gestellt. 2020 gab es rund 260.000 Anträge. Die Präsidentin der Rentenversicherung, Gundula Roßbach, sagte der dpa: »Die Menschen nehmen die Möglichkeiten wahr, die sie qua Gesetz haben.«

Dulger forderte auch eine generelle Koppelung des regulären Renteneintrittsalters an die steigende Lebenserwartung. »Da muss dann auch keiner mehr irgendwelche politischen Entscheidungen treffen, die vielleicht unpopulär sind, sondern man verlinkt das miteinander und dann hat man einen Automatismus, der auf jeden Fall in die richtige Richtung geht«, sagte er. Nach geltendem Recht steigt die Altersgrenze bis 2029 schrittweise von 65 auf 67 Jahre.

Laut Rentenpräsidentin Roßbach ist das Rentensystem bereits »sehr flexibel« beim Renteneintritt. »Einerseits kann man schon ab 63 mit Abschlägen in Rente gehen, andererseits sind wir im Hinblick auf den Renteneintritt nach oben komplett offen.«

Wie das Sozialministerium auf eine Frage von Linksfraktionschef Dietmar Bartsch mitteilte, waren von den knapp 1,07 Millionen Beschäftigten ab 67 Jahre nur 232.000 sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Rund 835.000 waren ausschließlich geringfügig beschäftigt. Dazu kommen noch 21.000 im Nebenjob geringfügig Beschäftigte. 2020 waren es 1,04 Millionen Beschäftigte ab 67 Jahre.

Bartsch sagte, Altersarmut und schmale Renten trieben die Menschen zurück in die Arbeitswelt. Bei vielen sei das keine freiwillige Entscheidung, sondern notwendig.

Rentenpräsidentin Roßbach verwies auf die große Inanspruchnahme von Minijobs bei den älteren Beschäftigten sowie auf geplante Regeländerungen. »Wir hatten nach den alten Zuverdienstregelungen vor der Pandemie um die 10.000 Renten mit Zuverdienst und entsprechender Einkommensanrechnung.« Ab 2023 gebe es bei vorgezogenen Renten keine Zuverdienstregelungen mehr. »Neben einer vorgezogenen Altersrente kann man dann unbegrenzt hinzuverdienen.«

Babyboomer-Generation drückt Beiträge nach oben

Dulger begründete seine Forderungen damit, dass die Rentenkasse immer mehr Steuermittel brauche. Angesichts des erwarteten Übertritts zahlreicher Angehöriger der Babyboomer-Generation in die Rente drohten auch die Beiträge immer stärker zu steigen. Im kommenden Jahr will die Bundesregierung ein umfassendes Rentenpaket vorlegen, um das Absicherungsniveau der Rente langfristig zu stabilisieren. Das Rentenalter soll laut Koalitionsvertrag nicht weiter steigen.

Verdi-Chef Frank Werneke warnte davor, die demografische Entwicklung nur über die Beiträge auszugleichen. »Bei der von der Regierung anvisierten Stabilisierung des Rentenniveaus ist problematisch, dass das Thema offenbar ohne eine Erhöhung des Bundeszuschusses geplant wird«, sagte Werneke der dpa. Richtig sei es, dass die Regierung die betriebliche Altersversorgung in den Blick nehmen wolle. »Viel zu wenige Arbeitgeber gerade in der privaten Dienstleistungswirtschaft bieten derzeit die betriebliche Altersversorgung an.«

Rentenpräsidentin Roßbach betonte die derzeit gute Finanzlage. So schließe die Rentenversicherung 2022 mit 2,1 Milliarden Euro Überschuss ab. Bis 2026 werde der Beitragssatz bei 18,6 Prozent konstant bleiben. Laut Rentenversicherungsbericht werde es bis 2030 einen Anstieg auf circa 20,2 Prozent geben. »Das ist deutlich geringer als das, was in der Vergangenheit geschätzt wurde.«

Roßbach erklärte: »Diese Entwicklung liegt sicherlich auch an der erheblichen Zuwanderung, die wir in den vergangenen Jahren verzeichnen konnten.« Der Arbeitsmarkt in Deutschland sei trotz der aktuellen Krisen stabil. Zur Rekordzahl bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung habe auch eine kontinuierliche Zuwanderung vor allem aus dem EU-Ausland beigetragen. »Das war so nicht vorausgesagt worden. Und der Arbeitsmarkt war deutlich aufnahmefähiger, als man das erwartet hatte.«

© dpa-infocom, dpa:221227-99-31335/9