Der Anteil von Quer- und Seiteneinsteigern in den Lehrerkollegien deutscher Schulen steigt. Im Schuljahr 2021/22 hatten 8,6 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer an den allgemeinbildenden Schulen keine anerkannte Lehramtsprüfung abgelegt, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch in Wiesbaden mitteilte.
Rund 60.800 der bundesweit insgesamt 709.000 Lehrkräfte waren demnach Quer- und Seiteneinsteiger. Im Schuljahr 2011/2012 hatte der Anteil laut Statistik noch bei 5,9 Prozent gelegen. Damals seien rund 39.300 der insgesamt 669.800 Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen Quer- sowie Seiteneinsteigerinnen und -einsteiger gewesen. Der Anstieg ist nach Angaben des Bundesamtes eine Folge des Lehrkräftemangels.
Als Seiteneinsteigerinnen und -einsteiger bezeichnet man Menschen, die über kein abgeschlossenes Lehramtsstudium verfügen und die ohne ein Referendariat in den Schuldienst übernommen werden. Bei Quereinsteigerinnen und -einsteigern besteht im Gegensatz dazu die Pflicht eines Referendariates. An den beruflichen Schulen hatten im Schuljahr 2021/22 laut Statistik 20,8 Prozent der insgesamt 124.000 Lehrkräfte keine anerkannte Lehramtsprüfung.
Bildungsgewerkschaften sehen die Entwicklung mit Sorge. »Lehrkräfte im Quer- und Seiteneinstieg sorgen schon heute dafür, dass der Unterrichtsbetrieb läuft«, teilte die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Maike Finnern, mit. Aber sie bräuchten Unterstützung. »Die Kultusministerien müssen unverzüglich Hochschulen, Studienseminare, Schulämter, Landesinstitute und Personalräte an einen Tisch holen, um gemeinsam hochwertige berufsbegleitende Qualifizierungsangebote für Quer- und Seiteneinsteigende zu entwickeln.«
Sorge um pädagogische Qualifizierung
Der Bundesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung, Gerhard Brand, erklärte, Kollegen aus anderen Berufen könnten ein Gewinn für die Schule sein – »wenn es wenige Personen wären, die gut vorbereitet, berufsbegleitend qualifiziert und angemessen begleitet werden könnten«. Diese Bedingungen gebe es aber nicht. Die Quote von Lehrkräften ohne Lehramtsprüfung sei vor allem an solchen Schulen hoch, die als Arbeitsort weniger attraktiv seien, gab Brand zu Bedenken. »Dort also, wo wir die höchste pädagogische Qualität bräuchten, haben wir die höchste Anzahl an Menschen, welche die pädagogische Qualifizierung, wenn überhaupt, erst berufsbegleitend erhalten.«
Trotz des hohen Bedarfs an ausgebildeten Lehrkräften ist die Zahl der Lehramtsabsolventinnen und -absolventen mit Master- oder Staatsexamensabschluss rückläufig, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Im Prüfungsjahr 2022 hätten rund 28.700 Lehramtsstudierende ihre Abschlussprüfungen bestanden - mehr als zehn Prozent weniger als noch zehn Jahre zuvor.
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