BRÜSSEL. Nach deutlichen Fortschritten auf dem Weg zu einem Corona-Krisen-Paket wird der EU-Sondergipfel in Brüssel nochmals verlängert.
EU-Ratspräsident Charles Michel kündigte nach Angaben von Diplomaten am Montagmorgen einen neuen Verhandlungsvorschlag an. Demnach könnte der Anteil der Zuschüsse im Corona-Rettungsprogramm von ursprünglich 500 Milliarden Euro auf 390 Milliarden gesenkt werden. Der Kompromiss sei aber noch nicht völlig unter Dach und Fach, hieß es.
Die Gespräche wurden gegen 06.00 Uhr unterbrochen und sollen am Nachmittag wieder aufgenommen werden, wie der Sprecher von EU-Ratspräsident Charles Michel auf Twitter mitteilte. Zunächst sprach er von 14.00 Uhr, verschob den Termin dann aber wenig später auf 16.00 Uhr. Damit läuft das am Freitag gestartete Treffen der 27 Staats- und Regierungschefs bereits zwei Tage länger als geplant.
Bundeskanzlerin Angela Merkel und die übrigen Staats- und Regierungschefs hatten während der ganzen Nacht zum Montag einen Kompromiss im Streit über das Krisenpaket gesucht, mit dem die schwere Corona-Wirtschaftskrise abgefedert werden soll. Es wird zusammen mit dem nächsten siebenjährigen EU-Finanzrahmen von mehr als 1000 Milliarden Euro beraten, was die Verhandlungen ungeheuer kompliziert macht.
Hauptstreitpunkt war dabei genau die Frage, wie viele Zuschüsse an EU-Staaten vergeben werden könnten, die von den Empfängern nicht zurückgezahlt werden müssen. Ursprünglich lautete der Vorschlag für das Konjunktur- und Investitionsprogramm: ein Gesamtumfang von 750 Milliarden Euro, davon 500 Milliarden als Zuschüsse und 250 Milliarden als Kredite. Die Staatengruppe der sogenannten Sparsamen Vier - Österreich, Schweden, Dänemark und die Niederlande - inzwischen verstärkt durch Finnland, wollte ursprünglich gar keine Zuschüsse, sondern nur Kredite. Im Lauf des Sonntags näherten sich die Positionen schrittweise an - ohne jedoch zu einer Lösung zu führen.
Die Gespräche seien dann am Sonntagabend sehr schwierig gewesen, hieß es aus der französischen Delegation. Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hätten auf den Tisch gehauen. Danach hätten die »Sparsamen« begonnen, sich zu bewegen. Merkel und Macron hätten alles getan, um einen Betrag von etwa 400 Milliarden Euro bei den Zuschüssen zu halten.
Mit dem erwarteten Kompromissvorschlag sei ein Weg zu einer Einigung erkennbar, erklärte ein EU-Diplomat. Ob es beim anvisierten Gesamtvolumen des Programms von 750 Milliarden Euro bleibt, ist aber noch offen. Möglicherweise werde man bei einem Betrag zwischen 700 und 750 Milliarden Euro landen, sagte ein anderer Diplomat. Teil des neuen Vorschlags sei auch, dass die Rabatte bei den Beiträgen zum EU-Haushalt für die »Sparsamen Vier« kleiner ausfallen als geplant.
Beim Abendessen am Sonntag hatte Ratspräsident Michel mit einem verzweifelt wirkenden Appell versucht, die Staats- und Regierungschefs aufzurütteln und ein Scheitern des Gipfels abzuwenden. Der Belgier verwies auf die zahlreichen Kompromissangebote und Zugeständnisse, die er sei dem Beginn des Treffens am Freitag gemacht hatte. Zudem betonte er mehrfach, dass er allen Gipfelteilnehmern immer mit größtem Respekt zugehört habe.
Er erinnerte an die beispiellose Krise, mit der die EU wegen der Corona-Pandemie konfrontiert sei, aber auch das zu erwartende negative Medien-Echo im Fall eines Scheiterns des Gipfels. Zum Schluss seines Beitrags sagte Michel dem Redetext zufolge: »Mein Wunsch ist es, dass wir eine Einigung erzielen, und dass die FT («Financial Times») und andere Zeitungen morgen titeln, dass die EU erfolgreich eine «Mission Impossible» gemeistert hat.«
Doch gab es bei dem Abendessen wenig Einigkeit, sondern bitteren Streit. Aus der Delegation eines großen EU-Staates hieß es um kurz nach Mitternacht, die »Sparsamen« blockierten weiter. Der österreichische Kanzler Sebastian Kurz höre nicht zu und kümmere sich lieber um Medienarbeit. Zudem instrumentalisiere Kurz zusammen mit den Niederlanden das Thema Rechtsstaatlichkeit, um zu blockieren.
Bundeskanzlerin Merkel kommt bei dem Gipfel eine Vermittlerrolle zu, weil Deutschland seit 1. Juli den Vorsitz der 27 EU-Staaten führt. (dpa)