BERLIN. Wer in diesen Tagen mit Politikern der AfD spricht, spürt viel unterdrückte Wut. Sie richtet sich bei einigen Spitzenfunktionären der Partei derzeit noch stärker gegen andere AfD-Mitglieder als gegen den politischen Gegner.
Die Mitarbeiterin eines Bundestagsabgeordneten schimpft über Mitglieder, die bei einer internen Abstimmung nicht einmal in der Lage seien, den Wahlschein korrekt auszufüllen. Der Vorsitzende einer Landtagsfraktion klagt über die fortschreitende »Proletarisierung der Partei«. Ein Landesvorstandsmitglied ist schockiert über die »unterirdische Kampagne« der Parteirechten gegen den Vorsitzenden Jörg Meuthen.
Der Streit um den Brandenburger Fraktionschef Andreas Kalbitz, im Mai auf Initiative von Meuthen vom Bundesvorstand per Mehrheitsentscheid aus der Partei geworfen, ist da vielleicht nur die sichtbare Spitze des Eisbergs. Das für Anfang August erwartete Urteil des Bundesschiedsgerichts der Partei in dieser Sache dürfte den Konflikt zwischen dem Lager von Parteichef Jörg Meuthen und den Anhängern der rechtsnationalen Strömung, die Kalbitz die Treue halten, deshalb wohl nicht beenden. Zumal Kalbitz schon angekündigt hat, dass er sich auch weiterhin zivilrechtlich gegen die Aberkennung seiner Mitgliedschaft zur Wehr setzen will.
»Ich wünsche mir, dass der ganze Prozess bis zum Jahresende abschließend geklärt ist, damit die Partei geschlossen in den Bundestagswahlkampf gehen kann«, sagt der Co-Vorsitzende Tino Chrupalla. Ob dieser Wunsch in Erfüllung gehen wird, ist allerdings fraglich.
Denn selbst wenn bis dahin feststeht, ob Kalbitz wegen der von ihm bestrittenen Mitgliedschaft in der inzwischen verbotenen rechtsextremen »Heimattreuen Deutschen Jugend« und seiner Vergangenheit bei den Republikanern AfD-Mitglied sein kann: Wie Meuthen mit Chrupalla künftig vertrauensvoll zusammenarbeiten will, ist fraglich. Denn Chrupalla hatte im Mai gemeinsam mit Bundestagsfraktionschefin Alice Weidel in der Causa Kalbitz gegen einen sofortigen Rauswurf und für eine juristische Beurteilung gestimmt. Meuthens Vorgehen beurteilte er kritisch.
Bei Sitzungen und Telefonkonferenzen des Bundesvorstandes sei die Atmosphäre zuletzt eisig gewesen, hört man aus dem Kreis der Teilnehmer. Als »völlig skurril« empfindet ein interner Beobachter die Teilnahme von Andreas Kalbitz an diesen Runden. Das habe strategische Gründe, heißt es aus Parteikreisen. Denn für den Fall, dass der 47-Jährige seine Mitgliedschaft von einem Gericht zugesprochen bekommen sollte, werde eine nachträgliche Anfechtung der Beschlüsse befürchtet. Die Fraktion im Brandenburger Landtag hält Kalbitz jedenfalls die Treue: Die Abgeordneten wählten ihn inzwischen erneut zum ihrem Vorsitzenden.
Kalbitz wird auch zu Festivitäten der Jungen Alternative eingeladen sowie zu Veranstaltungen mit Bundestagsabgeordneten und dem Thüringer AfD-Fraktionschef Björn Höcke. »Einigkeit macht stark - Schluss mit hausgemachten Krisen«, lautete das Motto einer Kundgebung mit Kalbitz und Höcke, zu der die AfD für Donnerstagabend ins thüringische Altenburg geladen hatte.
Höcke und Kalbitz waren die beiden Führungspersönlichkeiten des »Flügels«. Die Strömung wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz als »gesichert rechtsextremistische Bestrebung« eingestuft. Vor allem in den westlichen AfD-Verbänden sorgt diese Einschätzung des Verfassungsschutzes für Unruhe. Hier beobachtet man auch mit großer Besorgnis, dass in den vergangenen Monaten Tausende Mitglieder die AfD verlassen haben. Es treten zwar auch in ähnlicher Größenordnung neue Mitglieder ein. Doch sind sich einige Funktionäre in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg nicht sicher, ob das die Klientel ist, die sie selbst gerne in der Partei sehen wollen.
Höcke und Co. jedenfalls bemühen sich weiter, die AfD zu einer Bewegungspartei zu machen, die »keine falsche konservative Loyalität zu Institutionen, die die Zukunft unseres Volkes gefährden«, zeigt. Diejenigen, die sich in der Partei als »gemäßigt« wahrnehmen, beobachten das mit Argwohn. Höcke experimentiert derweil unverdrossen weiter mit spitzfindigen Formulierungen. »2021 - Die letzten freien Wahlen in Deutschland?«, schrieb er vor einigen Tagen auf seiner Facebook-Seite.
Auch bei der Suche nach Gründen für Umfragewerte unter dem Bundestagswahlergebnis von 12,6 Prozent gehen die Meinungen auseinander: Meuthen schiebt das vor allem auf die Corona-Krise, die seiner Einschätzung nach generell denjenigen nutzt, die jetzt politische Verantwortung tragen. Seine Gegner sehen die Ursache dagegen in erster Linie in den Grabenkämpfen, die sie zum Teil Meuthen anlasten.
Neue Scharmützel könnten in den nächsten Tagen folgen. Zum Beispiel wenn der Parteikonvent an diesem Samstag in einer sächsischen Kleinstadt zusammentritt. Laut vorläufiger Tagesordnung sollen Bundesvorstand und Bundesgeschäftsstelle dann »ausführlich« zu der Frage Stellung nehmen, ob sie Meuthen in der Affäre um Zuwendungen für seinen Wahlkampf »persönlich in Regreß« nehmen wollen. Vom Bundestag wurden die Zuwendungen als illegale Parteispenden gewertet. (dpa)