Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerks haben die Aktivisten in einem Tunnel unter dem Braunkohleort Lützerath in der Nacht zum Freitag zunächst nicht aus ihrem Versteck geholt. Das THW habe den Einsatz beendet, sagte eine Polizeisprecherin am frühen Freitagmorgen. Wann ein neuer Versuch unternommen wird, die Aktivisten herauszuholen, blieb zunächst unklar.
Ein Polizeisprecher hatte zuvor erklärt, man habe keinen Blickkontakt zu den Personen, könne aber mit ihnen sprechen. Am Donnerstag war bekannt geworden, dass sich Aktivisten offenbar in einem unterirdischen Gang verschanzt haben.
Eine Sprecherin der Gruppe »Lützerath lebt« sagte, die Personen seien in gut vier Metern Tiefe. Die Aktivisten hätten sich darauf vorbereitet und sich aktiv für die Aktion entschieden. »Sobald sich hier irgendwelche schweren Geräte bewegen, sobald Abriss- oder Aufräumarbeiten passieren, kann es sein, dass der Tunnel einsturzgefährdet ist und ihr Leben gefährdet ist«, sagte sie. Die Tunnel-Aktion ist eine von vielen Protestformen, mit denen die Klimaaktivisten die Räumung von Lützerath behindern wollen.
Laut einem Polizeisprecher sollte es in der Nacht keine weiteren Räumungen von Häusern oder Baumhäusern geben. Die Polizei wird demnach aber aktiv, sollten Aktivisten - wie bei der Tunnel-Aktion - aus potenziell gefährlichen Lagen befreit werden müssen. Das war zunächst aber nicht der Fall.
Obwohl bereits viele Lützerath-Verteidiger freiwillig gegangen sind und die Polizei Häuser und selbstgebaute Siedlungen teilweise geräumt hat, sind weiter Aktivisten auf dem Gelände. »Wir halten hier den Ort sicher noch bis zur Großdemo am Samstag«, sagte eine Sprecherin von »Lützerath lebt«. »Doch auch wenn Lützerath, das Dorf, weggeht, bleibt uns die Vernetzung und die Bildungsarbeit, die wir hier geleistet haben und uns verbunden haben. Wir werden weiterziehen und neue Widerstandsorte finden.«
Rasche Räumung
Zahlreiche Holzhütten und Barrikaden der Aktivisten wurden von Baggern dem Erdboden gleichgemacht. Die Besetzer ließen sich meist ohne große Gegenwehr wegtragen. Einige waren dabei den Tränen nah.
Auch zwei symbolträchtige Häuser der einstigen Bewohner von Lützerath wurden geräumt. Dort flogen Feuerwerkskörper in Richtung der Einsatzkräfte, wie eine dpa-Reporterin berichtete. Eine Beamtin wurde laut Polizei leicht verletzt. Auf der politischen Bühne stellt die Räumung von Lützerath die Grünen weiter vor eine Zerreißprobe.
»Die Räumung der überirdischen Strukturen ist weitgehend abgeschlossen«, sagte Weinspach im WDR. »Wir haben fast alle Häuser geräumt bis auf eins. Es ist die Wiese geräumt, ein Großteil der Baumhäuser ist geräumt. Insofern bleibt gar nicht mehr so viel über.« Das Problem seien nun die Gänge unter der Erde. »Wir wissen nicht, wie stabil diese unterirdischen Bodenstrukturen sind. Wir wissen auch nicht, wie die Luftzufuhr dort ist«, sagte Weinspach. Spezialkräfte von RWE und Technischem Hilfswerk kümmerten sich nun darum, »wie die Rettung in geeigneter Weise vorgenommen werden kann«.
Demonstranten auf Zufahrtsweg eingekreist
Der Energiekonzern RWE, dem Lützerath inzwischen gehört und der die Braunkohle unter dem Ort für die Stromerzeugung gewinnen will, baute einen massiven Zaun rund um den kompletten Ort. So sollte die Anreise weiterer Demonstranten verhindert werden. Trotzdem machte sich vom Nachbarort Keyenberg aus ein Demonstrationszug auf den Weg nach Lützerath. Die Polizei sprach von etwa 800 Teilnehmern.
Einige Demonstranten wurden von der Polizei gestoppt und eingekreist, darunter Klima-Aktivistin Luisa Neubauer und Greenpeace-Vorstand Martin Kaiser. Sie wurden schließlich von Polizisten weggetragen. Die Demonstranten wollen den Abbau der Kohle unter Lützerath verhindern und warnen vor den Folgen für das Klima durch die Kohle-Verbrennung.
Ehemalige Höfe geräumt
Am Donnerstagmorgen mussten die Besetzer bereits den symbolträchtigen Duisserner Hof aufgeben, den der als »letzter Bauer von Lützerath« bekannt gewordene Besitzer bis zuletzt gegen die Enteignung verteidigt hatte. Das Gebäude war zu einem bildstarken Symbol des Widerstands gegen den Braunkohle-Tagebau Garzweiler geworden.
Auch in einem zweiten Gebäude, dem sogenannten Paulahof mit einer aufgemalten Regenbogen-Flagge auf der Fassade, begann die Räumung. Als die Polizei vorrückte, flogen Rauchbomben und Raketen in Richtung der Beamten. Doch Angriffe auf Polizeibeamte bleiben nach Einschätzung von Beobachtern die Ausnahme. Im Großen und Ganzen war der Protest gewaltfrei. Einige Aktivisten hatten sich mit Kleber in ihren Holzhütten festgeklebt. Beamte konnten sie aber schnell lösen. Andere ketteten sich an oder betonierten ihre Arme ein, um die Räumung zu erschweren. »Wir haben Erfahrung mit Lock-ons aller Art«, sagte ein Polizeisprecher.
Räumung geht weiter
Auch aus den in bis zu zehn Meter Höhe errichteten Baumhäusern ließen sich Besetzer von Höhenrettern ohne große Gegenwehr nach unten holen. Anschließend schnitten Polizisten die Halteseile durch, so dass Baumhäuser krachend in die Tiefe stürzten und dort in viele Einzelteile zerbrachen, wie ein dpa-Reporter berichtete.
Das stürmische und regnerische Wetter machte den Aktivisten zu schaffen. »Wir hoffen, dass der Sturm nicht noch stärker wird«, sagte eine Sprecherin der Initiative »Lützerath lebt«.
Am Donnerstagabend ging die Räumung in der Dunkelheit noch weiter. »Objekte, die angegangen worden sind, arbeiten wir noch fertig ab«, sagte ein Polizeisprecher. Auch Aktivisten, die sich einbetoniert oder festgekettet hätten, würden trotz der Dunkelheit befreit. »In solchen Fällen müssen wir Hilfe leisten«, sagte der Sprecher.
Aktivisten besetzen Grünen-Parteizentrale in Düsseldorf
Für die Grünen wird die Räumung immer mehr zur Belastung: Sowohl im Bund als auch im Land NRW ist die Partei an der Regierungskoalition beteiligt und trägt die Erweiterung des Braunkohletagebaus Garzweiler mit. Aus Protest besetzten rund 30 Aktivisten die Parteizentrale der NRW-Grünen in Düsseldorf, wie ein Parteisprecher bestätigte. Die Parteispitze betont, dass im Gegenzug der Kohleausstieg in NRW um acht Jahre auf 2030 vorgezogen wurde.
Am Rande des Einsatzes ist ein ziviles Einsatzfahrzeug der Polizei in Flammen aufgegangen. »Wir gehen definitiv von einer Brandstiftung aus«, sagte ein Sprecher. Das zivile Einsatzfahrzeug sei durch ein Blaulicht auf dem Dach eindeutig als Polizeiauto zu erkennen gewesen.
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