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Ärztepräsident ruft zu umfassenderem Gesundheitsschutz auf

Auf dem Ärztetag debattieren Mediziner untereinander und mit Bundesgesundheitsminister Lauterbach über Reformen im Gesundheitswesen. Ärztepräsident Reinhardt mahnt einen breiten Gesundheitsschutz an.

Deutscher Ärztetag
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (l) und Ärztekammerpräsident Klaus Reinhardt beim Deutschen Ärztetag in Essen. Foto: Henning Kaiser
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (l) und Ärztekammerpräsident Klaus Reinhardt beim Deutschen Ärztetag in Essen.
Foto: Henning Kaiser

Ärztepräsident Klaus Reinhardt hat angesichts der alternden Gesellschaft und des Klimawandels zu einem umfassenderen Gesundheitsschutz für die Bevölkerung aufgerufen. Dafür müssten sich auch Stadtplanungen, Verbraucherschutz sowie die Landwirtschafts-, Arbeits- und Sozialpolitik einbringen, sagte der Chef der Bundesärztekammer zur Eröffnung des Deutschen Ärztetags in Essen.

Zu ärztlichen Aufgaben zählten auch der gesundheitsbezogene Klima– und Hitzeschutz, der Einsatz für saubere Luft und gegen gesundheitsgefährdende Chemikalien in Alltagsprodukten.

Reinhardt verwies auf eine zurückgehende Einbindung vieler Menschen etwa in Sportvereine und andere soziale Einrichtungen. Gerade bei älteren Menschen könne es zu krankmachender Vereinsamung kommen. Die Versorgung Geflüchteter aus verschiedensten Krisengebieten mit oft psychischen Belastungen müsse stabil organisiert werden. Gegen Folgen insbesondere von Hitzewellen auf ältere und kranke Menschen seien Aktionspläne nötig. Dem Fachkräftemangel im Gesundheitswesen müsse mit innovativen Ideen begegnet werden. »Diese Aufgaben können wir nur mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung aller Beteiligten bewältigen.«

Reinhardt fordert Verlässlichkeit bei Digitalisierung

Reinhardt forderte mehr Verlässlichkeit bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen. »Ärztinnen und Ärzte sind guten Willens und offen für digitale Anwendungen«, sagte der Chef der Bundesärztekammer. Viele seien aber nach wie vor frustriert, weil die Technik nicht stabil funktioniere. »Politik und Industrie sollte klar sein, dass Arztpraxen und Kliniken keine Versuchslabore für unausgereifte Technik sind«, sagte Reinhardt.

Mit Blick auf den Neustart mit elektronischen Patientenakten für alle Versicherten mahnte der Ärztepräsident, das Vertrauen der Patienten und Patientinnen auf einen verantwortungsvollen Umgang mit ihren Daten sicherzustellen. Das setze einfache Widerspruchsmöglichkeiten voraus. Die Bundesregierung plant, dass alle gesetzlich Versicherten bis Ende 2024 automatisch eine E-Akte bekommen - außer, man lehnt das aktiv ab. Bisher muss man aktiv einwilligen, wenn man eine will.

Kritik an Gesundheitsminister Lauterbach

Reinhardt forderte eine grundlegende finanzielle Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Dazu könnten unter anderem auch Teile der Genusssteuern auf Tabak und Alkohol als zweckgebundene Gesundheitsabgabe verwendet werden. Zudem sollte die Mehrwertsteuer für Arzneimittel von 19 Prozent auf 7 Prozent gesenkt werden.

Reinhardt hielt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eine mangelnde Einbeziehung von Gesundheitsakteuren in politische Vorhaben vor, etwa bei der Neuaufstellung der Kliniken. Es sei ein Fehler, das Engagement der eigenen ärztlichen Kolleginnen und Kollegen als Lobbyismus zu diskreditieren. Reinhardt kritisierte auch den Umgang mit den Praxen der niedergelassenen Ärzte. Statt deren Einsatz etwa mit einem Bonus für medizinische Fachangestellte zu würdigen, werde der Rotstift angesetzt. »Stärken Sie die Praxen«, forderte er.

NRW-Gesundheitsminister glaubt an Kompromiss bei Krankenhausreform

Im Streit zwischen Bund und Ländern um die geplante Krankenhausreform setzt NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) auf Kompromissbereitschaft beider Seiten. Entscheidend sei, dass am Ende »Qualität und Erreichbarkeit des Gesundheitssystems in allen Regionen« sichergestellt würden, sagte Laumann in Essen. Daran müsse sich die Reform messen lassen. »Wir werden keine ideologischen Entscheidungen treffen«, betonte er.

An die Adresse des in Essen anwesenden Bundesgesundheitsministers sagte Laumann: »Ich finde, wir beide haben eine Verantwortung, dass die Krankenhäuser anschließend auch mit dem umgehen können, was wir da machen.« Deshalb gehe es nun darum, eine in Nordrhein-Westfalen seit Jahren vorbereitete Krankenhausreform mit den Plänen des Bundesgesundheitsministeriums »vernünftig zusammenzuführen«. »Wenn es einfach wär', dann könnte es ja jeder - dann müssten wir beide es nicht machen.«

In dem Streit hatte der Bundesgesundheitsminister seinen NRW-Amtskollegen zunächst davor gewarnt, die in NRW bereits eingeleitete Krankenhausreform im Alleingang durchzuziehen. Zuletzt waren beide Seiten aber schon aufeinander zugegangen.

Während des viertätigegn Ärztetages wählen die 250 Delegierten auch die Führung der Bundesärztekammer neu. Der seit 2019 amtierende Präsident Reinhardt (62) tritt erneut an. Gegen ihn kandidiert die Vorsitzende des Ärzteverbandes Marburger Bund, Susanne Johna (57). Sie wäre die erste Frau an der Spitze der Bundesärztekammer, die die Interessen von 550.000 Ärztinnen und Ärzten in Deutschland vertritt. Die Wahlen sind an diesem Donnerstag vorgesehen.

© dpa-infocom, dpa:230515-99-703780/8