GIEßEN/MAINZ. Erinnern Sie sich noch an die Anfänge der Corona-Pandemie? Als es hieß, das A und O im Kampf gegen das Virus seien Abstand und Händewaschen. Schutzmasken brauche nicht jedermann, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU).
Anfang April 2020 wollte die deutsche Politik auch noch nichts von einer Maskenpflicht wissen. In diesem Punkt seien sich Bund und Länder einig, verkündete Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) damals.
Ein Jahr Pandemie später und um einige Erkenntnisse weiser, sieht die Lage anders aus. Auch aus Mangel an professionellen Masken wurden erst die sogenannten Community-Masken zum Maß aller Dinge. Gefühlt halb Deutschland griff zu Nadel, Zwirn, alten Bettlaken und Gummibändern. Die selbstgenähten Prototypen sind längst passé, und es ist kaum vorstellbar, dass sie jemals wieder Standard werden.
Mit den Corona-Wellen verschärfte die Politik die Auflagen, medizinische und FFP2-Masken wurden Pflicht. Die einen ächzten unter den »Maulkörben«, protestierten dagegen auf der Straße oder zogen vor Gerichte. Andere verwiesen auf Klinikpersonal, das über Stunden mit Maske um die Leben anderer kämpft und am Ende gezeichnet ist: Fotos verschwitzter Krankenschwestern mit Maskenabdruck machten die Runde.
Und nun? Angesichts sinkender Inzidenzwerte, in Erwartung des Sommers und des innig herbeigesehnten Auslaufens der Pandemie wird über ein Ende der Maske nachgedacht. Die Reaktionen auf das zeitweise Vorhaben von Niedersachsen, die Maskenpflicht im Einzelhandel in Regionen mit einer Sieben-Tage-Inzidenz unter 35 fallenzulassen, zeigen aber: So schnell wird das wohl nichts. Nach breiter Kritik auch aus der Bundesregierung machte das Land einen Rückzieher. Und aus Expertensicht ist das auch gut so.
»Frühestens, wenn wir Impfquoten von 70 bis 80 Prozent erreicht haben, könnte man darüber nachdenken«, sagt der Virologe Friedemann Weber von der Uni Gießen der Deutschen Presse-Agentur. Er meint vollständig Geimpfte. »Wir haben immer noch eine Pandemie mit einem unklaren weiteren Verlauf unter anderem durch Virusvarianten.«
Der eingeschlagene Weg sollte aus Webers Sicht beibehalten werden. »Eine Aufhebung der Maskenpflicht im Einzelhandel wäre gerade das völlig falsche Signal und sehr kurzsichtig gedacht.« Zumal der Aufwand, Maske zu tragen, gering sei - der Gewinn für die Pandemie-Bekämpfung hingegen groß. »Die Maske tut doch niemandem weh.« Zumal nach einer im Fachblatt »Science« veröffentlichten Studie des Virologen Christian Drosten das Maximum der Virus-Ausscheidung ein bis drei Tage vor Beginn der Symptome liegt. Der Infizierte merkt also noch gar nicht, dass er krank ist und andere anstecken könnte. Eine Maske kann da viel ungewolltes Ungemach verhindern.
Auch ist die Infektionsgefahr in Innenräumen nach Einschätzung von Aerosolforschern deutlich höher als an der frischen Luft. Daher sollte die Maskenpflicht nach Meinung von Gerhard Scheuch, dem früheren Präsidenten der Internationalen Gesellschaft für Aerosole in der Medizin, auch zuerst bei Outdoor-Aktivitäten wie etwa Zoobesuchen aufgehoben werden, bevor man den Einzelhandel wie kleine Souvenirläden angeht.
Auch in großen Theatern und Museen, Freibädern, Schwimm- und Sporthallen sei das Ansteckungsrisiko nicht so hoch, weil dort sehr viel Raum und Luft seien. »Da reicht die Aerosolkonzentration kaum aus, um andere zu gefährden.« Doch auch dabei gibt es Tücken - denn selbst in vermeintlich Frischluft-durchfluteten Freibädern gibt es enge Umkleiden. »Da muss man schauen, dass die super belüftet sind.«
Gerade in kleinen, engen, unbelüfteten Räumen sei die Gefahr am höchsten, sagt Scheuch. Als weiteres Beispiel nennt er Aufzüge. »Hier sind oft nur zwei bis vier Kubikmeter Luft. Wenn Leute drin sind, noch weniger.« Schon während einer kurzen Fahrt könne man sich anstecken, auch wenn man alleine ist. »Die Wolke bleibt drin.«
Wichtig ist vor allem, die Unterschiede zu kennen und die Masken richtig zu tragen. Der medizinische Mund-Nasen-Schutz, auch OP-Maske genannt, besteht in der Regel aus drei Lagen Kunststoff-Vlies. Für die Masken gelten bestimmte Anforderungen und sie sind grundsätzlich nur zum einmaligen Tragen gedacht. Die dichteren, ebenfalls aus Vlies gefertigten Feinstaubmasken der Klassen FFP2, N95 oder KN95 bestehen in der Regel zusätzlich aus elektrostatischem Material, an dem kleine Partikel gebunden werden. Diese Wirkung schwindet aber mit der Zeit.
Dass korrekt getragene Masken die Verbreitung der Coronaviren deutlich bremsen können, hat ein internationales Team um Forschende des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz (MPIC) in einer jüngst veröffentlichten Studie gezeigt: Um die sogenannte Reproduktionszahl - die angibt, wie viele Menschen ein Infizierter im Mittel ansteckt - von etwa drei auf unter eins zu reduzieren, müssten demnach mindestens 60 bis 70 Prozent der Menschen chirurgische Masken korrekt anwenden. Bei FFP2-Masken wären es etwa 40 Prozent. »Bei infektiöseren Varianten von Sars-CoV-2 müssten die Raten entsprechend höher sein«, heißt es.
Daher sollten wir uns darauf einstellen, dass solche Masken wohl noch eine ganze Weile halbe Gesichter verdecken werden. Der Leiter des Forschungsbereichs Pneumologie an der Charité Berlin, Christian Witt, prognostiziert: »Masken werden eine wichtige Schutzmaßnahme gegen Sars-CoV-2-Infektionen bleiben – sogar für geimpfte Personen, speziell wenn der Impfschutz mit der Zeit nachlässt.« (dpa)