Seit mehr als einem halben Jahrhundert forscht Robert Gallo schon an Viren. 85 Jahre alt wird der US-Wissenschaftler und Mit-Entdecker des Aids-Erregers HIV am Mittwoch (23. März) - aber nicht nur die Corona-Pandemie macht einen Ruhestand für Gallo zumindest derzeit unmöglich.
Unter anderem als Professor und Direktor des von ihm gegründeten Instituts für Humanvirologie an der Universität von Maryland in Baltimore und beim ebenfalls von ihm mitgegründeten Global Virus Network arbeitet Gallo unermüdlich weiter.
Er komme nach seiner Mutter, die ebenfalls bis ins hohe Alter voller Energie gewesen sei, sagte der Wissenschaftler im Interview der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Während der Pandemie habe er in den vergangenen zwei Jahren sogar noch mehr gearbeitet - allerdings meist von zu Hause aus und via Zoom. Nach wie vor arbeitet Gallo wissenschaftlich an der weiteren Erforschung von HIV, zudem hat die Corona-Pandemie ihn und sein Team vor völlig neue Herausforderungen gestellt. Mit dem Global Virus Network will Gallo einen Beitrag zur Bewältigung dieser und möglicher weiterer Pandemien leisten.
Wurzeln in Italien
Der Wissenschaftler stammt aus einer Familie italienischer Einwanderer. Der Vater unterhielt eine kleine Schweißerei im US-Bundesstaat Connecticut. Gallos Schwester Judy starb früh an Leukämie, ein prägendes Erlebnis. »Es war eine sehr schwere Zeit in meinem Leben«, sagt Gallo. Besonders sein Vater habe extrem unter dem Tod der Schwester gelitten. »Wir konnten nicht mehr lachen, keine Witze mehr machen, kein Weihnachten mehr feiern, keine Geburtstage. Nichts. Also bin ich auf bizarre Weise durch meine Teenager-Jahre gegangen, bis ich dann aufs College kam.«
Der Tod seiner Schwester sei der »Schock seines Lebens« gewesen, sagt Gallo - aber über die Besuche im Krankenhaus bekam er auch den ersten kleinen Einblick in die medizinische Forschung. »Ich hatte ursprünglich gar kein Interesse an Wissenschaft. Ich werde nicht lügen und sagen, dass ich ein Kind war, das sehr neugierig war und unter jeden Stein geschaut hat.« Er habe sich nur für zwei Dinge interessiert: Basketball und Mädchen. Dann stellte sein Vater ihm den Arzt seiner gestorbenen Schwester vor, bei dem Gallo schließlich ein Sommer-Praktikum absolvieren durfte. »Auch wenn ich es mir erst nicht eingestehen wollte, wurde mir dann klar, dass ich zu Leukämie forschen wollte.«
Keine einfachen Zeiten
Schon als Student veröffentlichte Gallo die erste wissenschaftliche Arbeit. Inzwischen steht er als Mitautor in rund 1300 Veröffentlichungen. Mehrfach habe er sich dafür komplett überarbeitet, sagt Gallo rückblickend. Es seien anfangs keine einfachen Zeiten gewesen - auch nicht für seine Frau Mary Jane Hayes, die er 1961 heiratete, und die beiden gemeinsamen Kinder.
Über verschiedene Universitäten kam Gallo in den 1960er Jahren an die National Institutes of Health in Maryland und wechselte in den 90er Jahren an die University of Maryland. Anfang der 80er Jahre entdeckte er mit seinem Team die ersten menschlichen Retroviren - darunter HTLV-I, das Leukämie hervorrufen kann. Für diese Entdeckung »humaner exogener Retroviren« erhielt Gallo 1999 eine der bedeutendsten deutschen Medizin-Auszeichnungen, den Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis.
Später fand Gallo auch das damals so genannte HTLV-III, den Aids-Erreger. Diese Entdeckung war allerdings extrem umstritten - und sorgte für eine der größten öffentlichen Streitdiskussionen der Wissenschaftsgeschichte. Der im Februar im Alter von 89 Jahren gestorbene französische Forscher Luc Montagnier hatte in den 80er Jahren parallel ebenfalls versucht, den Aids-Erreger zu isolieren. Gallo und Montagnier arbeiteten eng zusammen. Dann verkündete das US-Gesundheitsministerium, dass Gallo das Aids-Virus entdeckt und sogar auch einen Bluttest für Patienten entwickelt habe. Gallo wurde gefeiert - bis herauskam, dass Montagnier eigentlich schon früher dran gewesen war.
Beim Nobelpreis geht Gallo leer aus
Erst 1994 einigten sich die beiden Forscher auf eine Art wissenschaftlichen Friedensvertrag, der unter anderem beiden die gleichen Einnahmen aus dem Patent für den Aids-Test zusprach. Die Zeit sei »kompletter Stress« gewesen, erinnert sich Gallo.
Den Nobelpreis bekam 2008 nur Montagnier, gemeinsam mit seiner französischen Kollegin Francoise Barré-Sinoussi. Gallo blieb außen vor. Er sei »überrascht und verletzt« von der Entscheidung gewesen, sagt Gallo. »Aber ich bin kein Preisrichter, ich vergebe das Geld nicht und ich gratuliere Gewinnern.«
Gallo hat zahlreiche andere Ehrungen bekommen, darunter gleich zweimal den renommierten Lasker-Preis und den mit einer Million Dollar dotierten israelischen Dan-David-Preis. Zudem ist der Wissenschaftler Ehrendoktor an fast 30 Universitäten. »Ich habe einfach sehr viel Glück«, sagt Gallo. »In jedem Aspekt des Lebens habe ich Glück gehabt.«
Gallo bei der University of Maryland
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