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Trotz Technik: Gebärdensprache ist wichtig für taube Kinder

Viele Eltern gehörloser Kinder setzen Hoffnung in Cochlea-Implantate und das Erlernen der Lautsprache. Experten betonen, dass die Gebärdensprache ein wichtiges Mittel zur Kommunikation bleibe.

Tag der Gehörlosen
Gehörlose oder Schwerhörige quatschen mühelos über Stunden über Gebärdensprache miteinander. Foto: Christian Charisius/DPA
Gehörlose oder Schwerhörige quatschen mühelos über Stunden über Gebärdensprache miteinander.
Foto: Christian Charisius/DPA

Wenn Eltern mit ihren Kindern reden wollen, ist das nicht immer ganz einfach. Doch was, wenn beide nicht einmal eine gemeinsame Sprache sprechen? Hörende Eltern und ihre tauben Kinder stehen mitunter schon bei alltäglichen Dingen vor Problemen: Die Eltern können ihr Kind nicht einfach fragen, was es essen möchte. Sie können ihm auch nicht sagen, dass sie es liebhaben. »Man hat keine Kommunikation mit seinem eigenen Kind«, sagt Romy Ballhausen, Mutter eines gehörlosen Sohnes und Vizepräsidentin des Bundeselternverbands gehörloser Kinder. 

Möglich wird Kommunikation mit der Gebärdensprache mit ihren visuellen Gebärden, der Mimik und Oberkörperbewegungen. Doch viele Eltern setzen laut Ballhausen eher auf technische Geräte wie Cochlea-Implantate (CI) und das Erlernen der Lautsprache. »Ärzte stellen den Eltern oft in Aussicht, dass die Kinder mit CI gut hören lernen und die Deutsche Gebärdensprache nicht brauchen«, sagt Ballhausen. »Man kann sich unserer Erfahrung nach aber nicht zu 100 Prozent auf die Technik verlassen, weil sie bei einigen Kindern gar nicht und bei anderen Kindern nicht in jeder Gesprächssituation funktioniert. Die Kinder haben auch kein Backup, wenn sie einmal ausfällt«, sagt die Hamburgerin. 

Vielfach können Gehörlose oder Schwerhörige mühelos über Stunden über Gebärdensprache miteinander quatschen, sind bei Lautsprache-Runden aber rasch ermattet, weil sie sich extrem konzentrieren müssen, um der Kommunikation folgen zu können. Denn: Das elektronische Hören mit einem Hörgerät oder einem CI ist anders als das natürliche Hören. CI-Träger haben oft Schwierigkeiten in lauten Umgebungen oder bei Hintergrundgeräuschen. Das Verstehen von Sprache in solchen Situationen kann herausfordernd sein. Auch Musik klingt teils nicht sonderlich angenehm und die Lärmempfindlichkeit kann erhöht sein. 

Probleme trotz Technik 

»Etwa 30 bis 50 Prozent der Kinder haben trotz der Technik Probleme in der Lautsprachentwicklung«, sagt Claudia Becker, Professorin für Gebärdensprach- und Audiopädagogik an der Humboldt-Universität Berlin. Ein störungsfreies, entspanntes Hören sei mit Implantat oft nicht möglich. »Das fängt schon bei kleineren Gruppen an, in denen alle durcheinander reden.« 

Ein CI ist eine elektronische Innenohrprothese. »Cochlea-Implantate übernehmen die Funktion der Sinneszellen, indem sie den Schall aufnehmen und daraus elektrische Impulse bilden, die zur weiteren Verarbeitung ins Gehirn gegeben werden«, erklärt Thomas Lenarz, Professor für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde und Direktor der HNO-Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover. 

In Deutschland bekommen demnach jährlich etwa 5.500 Patienten ein CI, davon etwa 600 in Hannover. Eine offizielle Statistik zur Zahl gehörloser Menschen in Deutschland gibt es nicht. Der Bundeselternverband gehörloser Kinder schätzt, dass es jedes Jahr etwa 5.400 bis 8.400 Kinder zwischen 0 und 3 Jahren gibt, die mit einer Höreinschränkung geboren wurden oder ertaubt sind. Von diesen Kindern hätten etwa 90 bis 95 Prozent hörende Eltern. 

Thomas Lenarz meint, es sei nichts gegen Gebärdensprache einzuwenden. »Ich würde nur nicht systematisch von Anfang an beides machen«, sagt er. »Die Dominanz der Lautsprache im gesamten Alltag, im Leben ist so stark, dass es natürlich darauf ankommt, dass die Kinder diese auch primär benutzen, weil sie damit natürlich alle Chancen haben.« 

Seiner Erfahrung nach bräuchten die meisten Kinder mit Cochlea-Implantat die Gebärdensprache nicht. Er empfehle Eltern aber, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen. »Sie können sehr viel authentischer und besser sagen, wie es bei ihnen gelaufen ist«, so der Arzt. 

Verband: Gebärdensprache wird oft vernachlässigt 

Feststellbar sind Hörbeeinträchtigungen schon wenige Tage nach der Geburt bei einem Neugeborenenscreening. »Die Diagnose trifft viele Familien wie ein Schock«, sagt Robert Jasko, Referent bei der Deutschen Gehörlosen-Jugend. Er kritisiert, dass viele Eltern allein auf Technik setzten. »Dieser Weg, so gut er gemeint ist, führt oft dazu, dass die natürliche Muttersprache des Kindes - die Gebärdensprache - vernachlässigt oder erst spät in Betracht gezogen wird«. 

Auch Romy Ballhausen warnt: »Es geht viel Zeit mit Sprechtraining und lautsprachlichen Übungen verloren, viel Kommunikation, die auch anders möglich wäre, bleibt aus, die Entwicklung des Kindes kann dauerhaft geschädigt werden.«

Die Gehörlosen-Jugend macht mit einem Video in sozialen Medien auf mögliche schwerwiegende Folgen aufmerksam, die eine unzureichende Kommunikation haben kann: Identitätskrisen, starke Unsicherheitsgefühle, Depressionen oder auch Angstzustände. Auch die Beziehung zu den Eltern könne sehr problematisch sein. Jasko spricht von einem »unsichtbaren Riss« zwischen Eltern und Kindern, der sich im Laufe des Lebens noch vertiefen könne. 

Video der Deutschen Gehörlosen-Jugend zu Sprachdeprivation

© dpa-infocom, dpa:240927-930-244923/1