Langsam füllen sich die Brutplätze auf dem Lummenfelsen auf Helgoland wieder. Die ersten Basstölpelpaare sind zurückgekommen, schnäbeln, manche beginnen schon mit dem Nestbau, andere kommen gerade erst an. Eigentlich ist alles wie immer Anfang April vor der Brutzeit der Hochseevögel - und doch ist etwas anders: Es seien deutlich weniger Basstölpel an ihren angestammten Nistplätzen zu sehen, sagt der Schutzgebietsbetreuer für Helgoland des Vereins Jordsand, Elmar Ballstaedt, vor allem auf den Plateaus und auf dem Felsen Lange Anna. Wie viele Brutpaare noch bis etwa Mitte April auf Deutschlands einzige Hochseeinsel kommen, ist nicht absehbar. Es werden aber definitiv weniger sein als sonst, sagt Ballstaedt.
Der Grund dafür liegt etwas zurück: Jahrelang tauchte die Vogelgrippe im Zusammenhang mit dem Vogelzug hierzulande nur im Winterhalbjahr auf. Doch 2022 verschwand der hochansteckende Erreger nicht mehr und sorgte in den Seevogelkolonien an der Nordseeküste für immense Verluste. »Ein Ausbruch mitten in der Brutzeit wie im vergangenen Jahr war völlig neu«, sagt Florian Packmor, zuständig bei der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer für Brutvögel.
Weil das Virus aber auch in diesem Jahr entlang der Küste ständig nachgewiesen wird, schauen Wissenschaftler und Naturschützer mit Sorge auf die nun erneut anstehende Brutzeit auf Helgoland und in den Wattenmeer-Nationalparks. Vor verheerenden Ausbrüchen wie im vergangenen Jahr wollen sie die Kolonien unbedingt schützen.
Auch Brandseeschwalben betroffen
Während 2022 auf Helgoland Hunderte Basstölpel starben oder ihre Brut vorzeitig abbrachen, traf das Virus in Niedersachsen vor allem die ohnehin vom Aussterben bedrohten Brandseeschwalben. Das Virus grassierte in vier von insgesamt fünf Brandseeschwalben-Kolonien nahe der deutschen Nordseeküste - auf den Inseln Minsener Oog, Langeoog und Neuwerk sowie auf der Hallig Norderoog. Allein auf Minsener Oog seien fast 3000 tote erwachsene Tiere und 2800 tote Küken gefunden worden, berichtet Packmor.
In den Brutkolonien der Brandseeschwalben habe das Virus optimale Voraussetzungen für eine Verbreitung gefunden. »Brandseeschwalben bilden die engsten Brutkolonien, die wir im Wattenmeer haben«, sagt der Experte. Im Zentrum der Kolonien gebe es zwischen den Nestern Abstände von gerade einmal 30 bis 40 Zentimetern. Mit der Brut in den dichten, lauten Kolonien schützen sich die weiß gefiederten Vögel mit dem markanten schwarzen Schopf eigentlich vor Fressfeinden.
Tragisch war aus Sicht der Wissenschaftler, dass vor allem viele Altvögel verendeten. Denn um den Fortbestand zu sichern sind Brandseeschwalben wie auch Basstölpel und Trottellummen darauf angewiesen, alt zu werden. Sie legen nur wenige Eier und werden erst nach einigen Jahren geschlechtsreif. »Das Überleben der Altvögel ist wichtig, um die Population überhaupt stabil zu halten«, sagt Packmor.
Veränderte Augenfarbe bei Basstölpeln
Auf Helgoland war der Bruterfolg der Basstölpel schon im vergangenen Jahr unterdurchschnittlich. Ein Phänomen, das dort seit dem Ausbruch im Sommer an einigen Basstölpeln beobachtet wird, ist eine andere Augenfarbe. Manche Vögel, die an dem Virus gestorben sind, aber auch noch lebende, haben komplett oder teils schwarze Augen. »Das sieht aus wie Kontaktlinsen an Halloween«, sagt Ballstaedt. Vor der Vogelgrippe sei eine solche Verfärbung nie aufgetreten - daher könne davon ausgegangen werden, dass diese Tiere genesen seien. Noch wisse man aber zu wenig über die Immunität bei den Wildvögeln.
Wissenschaftler und Naturschützer wollen das ändern und neue, mögliche Ausbrüche in der anstehenden Brutzeit unbedingt verhindern. Ende März trafen sich in Wilhelmshaven Virologen, Ornithologen, Epidemiologen und Veterinäre aus Deutschland, den Niederlanden, Dänemark, Großbritannien und Schweden, um über Risikofaktoren und Eintrittswege des Virus in die Kolonien zu beraten - organisiert wurde dieser unter anderem von dem Gemeinsamen Wattenmeersekretariat der Staaten Dänemark, Deutschland und den Niederlanden.
Mit dem interdisziplinären Workshop sei erstmals auf trilateraler Ebene eine gemeinsame Risikobewertung verschiedener Experten für die Vogelgrippe im Wattenmeer vorgenommen worden, sagt Kristine Meise, Programmleiterin Zugweg und Biodiversität des Wattenmeersekretariats. »Wir waren uns bei dem Workshop einig, dass es ein hohes Risiko gibt, dass es zu einem neuen Ausbruch kommen kann.« Aber ob es tatsächlich dazu komme und welche Vogelarten dann betroffen sein könnten, sei nicht vorhersagbar.
Experten treffen Vorkehrungen
Um für neue Ausbrüche gerüstet zu sein, tauschten sich die Experten und Expertinnen auch über Handlungsmöglichkeiten aus. Um den Bestand der Brandseeschwalben zu sichern, will etwa die niedersächsische Nationalparkverwaltung auf ein Maßnahmenbündel setzen: »Wir werden jetzt eine Reihe von Pilotmaßnahmen angehen«, sagte Packmor. Vor allem das Monitoring soll intensiviert werden. Um möglichst früh einen Überblick über die Virusverbreitung zu bekommen, sollen nun erstmals etwa Brandseeschwalbenküken auf das Virus getestet werden.
Eine weitere Maßnahme könnte das vermehrte einsammeln Kadavern sein. »Dadurch gibt es überhaupt die Chance, einen Ausbruch einzudämmen«, sagt Meise. Solche Eingriffe müssten aber genau abgewogen werden, da ein Einsammeln auch eine Störung der Kolonien bedeute. »Es könnte dazu führen, dass infizierte Tiere abwandern und das Virus in andere Kolonien weitertransportieren.« Daher gibt es auch Überlegungen, Outdoor-Webcams in den Kolonien einzurichten, mit denen etwa die Brandseeschwalben auch aus der Ferne überwacht werden könnten.
Auf Helgoland suchen Ballstaedt und seine Mitstreiter schon einmal pro Woche die Insel nach toten Vögeln ab und nehmen gegebenenfalls Proben. »Stand jetzt, sieht es für unsere Seevögel gut aus. Keine von den Arten hat bis jetzt Anzeichen von Vogelgrippe«, sagt Ballstaedt. Aber wenn die Basstölpel sich doch infizieren sollten, dann seien Trottellummen, Dreizehenmöwen und andere Arten, die dicht an dicht auf dem Lummenfelsen brüten wohl ebenso betroffen. Im vergangenen Jahr sei es schlicht Glück gewesen, dass die Lummenküken ihre Nistplätze bereits verlassen hatten, als die Vogelgrippe ausbrach.
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