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Permakultur: Selbstversorgung in Krisenzeiten

Die Angst vor Krieg und Corona lässt bei vielen den Wunsch wachsen, sich im Notfall selber zu versorgen. Die in Australien entwickelte »Permakultur« kann hier helfen. Überleben im Einklang mit der Natur, lautet das Motto.

April Sampson-Kelly
April Sampson-Kelly steht inmitten ihrer »Silk Farm« im australischen Mount Kembla, einem sogenannten »Food Forest« oder Ernährungs-Garten, der nach den Prinzipien der Permakultur-Lehre angelegt wurde. Foto: Michelle Ostwald
April Sampson-Kelly steht inmitten ihrer »Silk Farm« im australischen Mount Kembla, einem sogenannten »Food Forest« oder Ernährungs-Garten, der nach den Prinzipien der Permakultur-Lehre angelegt wurde.
Foto: Michelle Ostwald

Wer April Sampson-Kelly besucht, spürt gleich: Irgendetwas an diesem Ort ist anders. Wild, verwunschen und irgendwie unberührt. Im Vorgarten wachsen Baumriesen und ein enormer Bambus, der in den Himmel ragt.

Dazwischen tummeln sich kleinere Feigen-, Limetten- und Karubenbäume sowie Kaffee- und Ingwerpflanzen. In der Ferne schnattern und gackern Gänse und Hühner. Aber das vermeintliche Chaos auf dem Grundstück hat Methode.

Sampson-Kellys urbane »Silk Farm« in Mount Kembla, etwa zwei Autostunden südlich von Sydney, wurde nach den Prinzipien der »Permakultur« entworfen - einem australischen Konzept, mit dem jeder seinen Garten und seine Lebensweise nach nachhaltigen und ethischen Prinzipien gestalten kann. Nur Rasen im Vorgarten, das sei gestern gewesen, schmunzelt die 55-jährige Mutter zweier Söhne. Stolz schaut sie auf die üppige Flora ringsum. Mittlerweile wachsen etwa 200 Pflanzenarten auf der 1600 Quadratmeter großen Farm, darunter Bananen, Guaven, Mangos, Taros, Süßkartoffeln und diverse Kräuter. Damit kann sich die Familie fast komplett selbst versorgen.

»«Coole» Form des biologischen Gartenbaus«

Den eigenen Haushalt direkt aus dem Garten zu ernähren, ist ein Ziel der Permakultur. »Manche nennen Permakultur eine «coole» Form des biologischen Gartenbaus«, sagt David Holmgren, der die Bewegung vor mehr als 40 Jahren mitgegründet hat, im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. »Es handelt sich um ein Designsystem für eine nachhaltige und widerstandsfähige Landnutzung und Lebensweise.«

Gemeinsam mit dem Biologen Bill Mollison bringt der Ökologe und Umweltdesigner Holmgren 1978 das Buch »Permaculture One« heraus - der Begriff setzt sich aus den Wörtern »permanent« und »agriculture« zusammen. Zu den zwölf Prinzipien, die im Handbuch erklärt werden, gehören praktische Ideen, wie Müllvermeidung und die Nutzung erneuerbarer Energien, sowie Mottos wie »Langsame und kleine Lösungen suchen«. Ziel ist es letztlich, eine Landwirtschaft zu entwickeln, die ein Überleben im Einklang mit der Natur ermöglicht.

Permakultur werde heute auf verschiedenste Arten und sowohl in dicht besiedelten als auch ländlichen Gegenden angewandt, erzählt Holmgren. »Das reicht von wohlhabenden, sozial komfortablen Milieus bis hin zu den Ärmsten auf dem Planeten.« Die Prinzipien seien universell. Je nach Kontext und Ort – ob im tropischen Norden Australiens oder im gemäßigten Mitteleuropa – gestaltet sich das Design unterschiedlich.

»Weniger Arbeit als Rasen - aber man braucht mehr Wissen«

So wild die Silk Farm in Mount Kembla auch aussieht: Alles ist hier genau konzipiert. Pflanzen, die viel Wasser benötigen werden mit recyceltem Abfallwasser versorgt, das hohe Baumkronendach bietet Schatten, stachelige Pflanzen am Grundstücksrand schrecken unerwünschte Tiere ab. »Beobachtung ist der Schlüssel«, sagt Sampson-Kelly. »Eine Permakultur-Fläche ist zwar weniger Arbeit als Rasen, der gemäht werden muss. Aber man braucht mehr Wissen, muss beobachten und Entscheidungen treffen.«

In den 1980er Jahren bringt der irische Architekt und Permakultur-Designer Declan Kennedy das Konzept nach Deutschland. Heute wird es sogar an Universitäten gelehrt. »Permakultur funktioniert vom Grundgedanken her weltweit«, sagt Christopher Henrichs, Vorsitzender des Vereins Permakultur-Niederrhein. »Für mich ist es ein spannender Werkzeugkasten, um die Zukunft zu gestalten.«

»Nebenbei« Treibhausgas-Emissionen verringern

Das Interesse an Permakultur nimmt weltweit stetig zu. Denn die Angst vor Lebensmittelknappheit und der Wunsch, sich im Notfall selbst versorgen zu können, sind durch den Krieg in der Ukraine, die Corona-Pandemie und die Klimakrise gewachsen. »In der Praxis bedeutet Permakultur, den Fokus auf eine größere Selbstversorgung und Widerstandsfähigkeit zu legen – in der Sprache des Klimawandels spricht man von «Anpassung»«, sagt Mitbegründer Holmgren. »Man verringert so automatisch auch Treibhausgas-Emissionen – selbst wenn das nicht die eigentliche Motivation war.«

Kann Permakultur eine Lösung im Kampf gegen den Klimawandel sein - oder eignen sich die Ideen aus Down Under nur für den eigenen Garten? »Für uns ist das Herzensthema, zu gucken: Funktioniert das Ganze auch in Groß und kommerziell und kann das zu dem dringend benötigten Wandel beitragen?«, sagt Henrichs. Mit Bildungsarbeit will der Verein das Nischendasein der Permakultur in Deutschland beenden und die Ideen weiter verbreiten.

Auf der politischen Ebene sei Permakultur noch fast gar nicht angekommen, wohl aber bei vielen Bürgern, sagt Florian Wichern, Professor für Nachhaltige Landwirtschaft an der Hochschule Rhein-Waal. Ihre Motivation: »Bei etlichen Leuten gibt es ein Bestreben, eine bessere Welt zu unterstützen. Und die Erkenntnis, dass es durch die verschiedenen ökologischen Krisen auch zu einer Handlungsveränderung kommen muss.«

Holmgren: Weltweites Potenzial

Für den australischen Permakultur-Pionier Holmgren haben seine Prinzipien das Potenzial, weltweit zu einem Umdenken beizutragen: »Es gibt Leute, die Permakultur als «Revolution getarnt als Gartenarbeit» bezeichnen.« Ob die Lehre wirklich global für Veränderungen sorgen kann, muss sich aber noch zeigen.

In der Zwischenzeit kann jeder den Wandel im Kleinen beginnen: »Als erstes fragen wir: Wie können wir Energie und Nährstoffe, die normalerweise verloren gehen, nutzen?«, sagt Sampson-Kelly, die auf ihrer Farm auch Permakultur-Workshops anbietet. Ein Beispiel seien Lebensmittelreste in der Küche. »Das ist eine Nährstoffquelle, die man ganz einfach für eine Wurmfarm nutzen kann.« Die Würmer setzen die Essensreste zu Kompost für den Garten um – und so schließt sich der Kreis.

Verein Permakultur-Niederrhein e.V.

Webseite von David Holmgren

Webseite der Silk Farm in Mount Kembla

© dpa-infocom, dpa:220419-99-963721/2