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Isegrim fühlt sich in Deutschland pudelwohl

Die Wölfinnen Lotta und Juli sind in Deutschlands Wäldern im Dienst der Forschung unterwegs. Über einen Sender geben sie Auskunft über ihre Wanderungen durch ein Land, in dem es immer mehr der streng geschützten Räuber gibt.

Wolf
Ein Wolf in seinem Gehege im Wildpark Eekholt. Foto: Carsten Rehder/dpa
Ein Wolf in seinem Gehege im Wildpark Eekholt. Foto: Carsten Rehder/dpa

Rietschen (dpa) - Sächsische Wölfe kommen ziemlich weit herum - bis nach Weißrussland und Dänemark sind einzelne Tiere nachweislich schon getrabt.

»Ein Wolf hat kein Google Earth, er läuft einfach los«, sagt Ilka Reinhardt vom Lupus Institut für Wolfsmonitoring und -forschung in Sachsen. Hier weiß man inzwischen ziemlich genau, wohin der Canis lupus - der größte Räuber aus der Familie der Hunde - ausschwärmt. Die Forscher erhalten ihre Informationen von Sendern, die via Satellit den Aufenthaltsort der Tiere übermitteln. Nach zwei Jahren lösen sich die Halsbänder mit den Sendern von selbst und der Wolf taucht wieder in die Anonymität ab. Die Daten seiner Wanderungen bleiben.

In diesem Sommer hat Sachsen erstmals seit längerer Zeit wieder zwei Wölfe mit Sendern ausgestattet. Seither streunen die beiden Wölfinnen Lotta und Juli durch die Wälder des Freistaates und des nördlichen Nachbarn Brandenburg. »Noch wissen wir nicht, ob es Mutter und Tochter sind oder Tante und Nichte«, sagt Reinhardt. Eine genetische Analyse der beiden Fähen stehe noch aus.

Juli hat den Funkdaten zufolge schon einen weiten Ausflug bis an den Stadtrand von Cottbus unternommen. Reinhardt zufolge kann das ein Hinweis sein, dass die Fähe eine Familie gründen will: »Das Problem: Sie braucht ein Grundstück.« Und die werden zumindest in einigen Teilen des Landes langsam knapp. In Deutschland werde die Population noch so lange wachsen, wie Wölfe geeignete und freie Territorien finden, sagt Reinhardt. Dort, wo Wölfe schon präsent sind, erfolge die Ausbreitung aber langsamer. Die Fachleute sprechen von »gesättigten Gebieten«.

Anfang Dezember haben das Bundesamt für Naturschutz und die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) neue Zahlen zum Bestand herausgegeben. Brandenburg hat mit 41 Rudeln Sachsen als Wolfsland Nummer Eins abgelöst. Dahinter rangieren Sachsen und Niedersachsen mit 22 und 21 Verbänden. Nach Angaben des Wolfsmonitorings in Niedersachsen sind dort mit Stand Dezember 2019 sogar 23 Rudel heimisch. Ein Rudel besteht aus etwa acht Tieren - den Eltern und Nachkommen der letzten zwei Jahre. Erstmals wurden Wölfe in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein nachgewiesen - auch wenn es nur Einzelgänger sind. 11 Bundesländer sind jetzt Wolfsgebiet.

Nach dem Monitoring für das Wolfsjahr 2018/19 - es reicht vom 1. Mai eines Jahre bis zum 30. April des Folgejahres - gibt es neben 105 Rudeln noch 25 erfasste Wolfspaare sowie 13 sesshafte Einzelwölfe. Beim vorhergehenden Monitoring waren es deutschlandweit 77 Rudel, 40 Paare und 3 Einzelwölfe. Der Deutsche Jagdverband beziffert die Zahl der Wölfe bundesweit in einer Hochrechnung als höher - aktuell auf rund 1300 Tiere - und prognostiziert für das kommende Frühjahr knapp 1800 der Räuber.

Der Naturschutzbund Deutschland hält die Zahlen der Jagdverbandes für übertrieben. »Damit wird nur Panik verursacht«, meint Nabu- Wolfsexpertin Marie Neuwald. Die Jäger hätten offenbar alle Jährlinge und Welpen mitgezählt, die aber keine Relevanz für die tatsächliche Anzahl hätten: »Die Sterblichkeit von Welpen liegt im ersten Lebensjahr bei 50 Prozent, da gibt es viel Fluktuation.« Es werde noch eine Weile dauern, bis die hiesige Population den sogenannten günstigen Erhaltungszustand von 1000 adulten Tieren habe.

Frank Faß, Chef des Wolfcenters Dörverden (Niedersachsen) beziffert die jährliche Zuwachsrate an Wolfsterritorien im Mittel auf 30 Prozent. Das würde am Ende des laufenden Wolfsjahres etwa 130 Rudel bedeuten. »Jede Landschaft hat eine Kapazität. Diese entscheidet, wie viele Rudel Platz in ihr haben«, sagt der Experte. Die Population werde weiter wachsen.

Sachsen war im Jahr 2000 das erste Bundesland, in dem man Wolfswelpen nachweisen konnte - 96 Jahre nachdem der letzte der Art in dieser Region geschossen wurde. Seither gibt es eine rasante Entwicklung. Von Sachsen aus wanderten die Räuber vor allem in nord-westlicher Richtung ab - nach Brandenburg und Niedersachsen. Die Ausbreitung gen Süden verläuft dagegen eher schleppend. Dass Flachlandwölfe nicht gern ins Gebirge gehen, sei aber nur eine Theorie, sagt Ilka Reinhardt. Dennoch: Die Vermehrung der Wölfe wird weitergehen, auch in Zeiten des Klimawandels. Wölfe gelten als sehr anpassungsfähig.

Nicht zuletzt ihr hoher Schutzstatus hat dazu geführt, dass sie sich in Deutschland nahezu ungehindert ausbreiten können. Was Naturschützer erfreut, bringt Nutztierhalter auf die Palme. Denn mit der wachsenden Population nimmt auch die Zahl der gerissenen Schafe, Ziegen oder Rinder zu. Für das Jahr 2018 listet die DBBW 639 Angriffe von Wölfen auf Nutztiere auf, bei denen 2067 von ihnen getötet oder verletzt wurden. Im Jahr zuvor waren es 472 Attacken und 1667 Opfer, 2016 lag das Verhältnis bei 285 zu 1079. Die Tendenz ist klar.

Allerdings gibt es keinen automatischen Zusammenhang. »In einem Vergleich der Nutztierschäden in verschiedenen europäischen Ländern zeigte sich, dass das Ausmaß der Schäden an Nutztieren weder von der Größe des Wolfsbestandes in einem Land noch von der Anzahl der Nutztiere abhing«, schreibt die DBBW im aktuellen Bericht. Entscheidend sei, wie gut oder schlecht vor allem Schafe und Ziegen vor Wolfsübergriffen geschützt waren. »Diese Analyse wird durch Erfahrungen in Deutschland bestätigt«, heißt es.

Nach Angaben der Dokumentations- und Beratungsstelle gibt es die meisten Übergriffe dort, wo Wölfe neue Territorien besiedeln und sich Schaf- und Ziegenhalter noch nicht auf ihre Anwesenheit eingestellt haben: »Meist gehen die Schäden in diesen Gebieten zurück, wenn die Tierhalter Herdenschutzmaßnahmen richtig anwenden.«

Wenn Wölfe eine Herde angreifen, kommt es oft zum Massaker. So wie im Herbst 2018, als mehrere Tiere nahe Förstgen in Ostsachsen gut 40 Schafe und Ziegen rissen. Dieses Verhalten ist auch von anderen Beutegreifern bekannt. Bei der Jagd auf freilebende Beutetiere wie Rehe haben Wölfe kaum die Chance, mehr als ein Tier zu töten, berichtet das Kontaktbüro »Wölfe in Sachsen«. Eine Herde biete dagegen ein Überangebot an Nahrung: »Diese günstige Gelegenheit veranlasst dazu, mehr Tiere zu töten, als sogleich verzehrt werden können.«

Die Verluste an Nutztieren sind der eigentliche Konflikt zwischen Mensch und Wolf. Dass er Menschen attackiert, gilt als wenig wahrscheinlich. Der Grund ist simpel: Sie gehören nicht in sein Beuteschema. Auch wenn Wölfe Menschen für gewöhnlich scheuen: Am Montag (30.12.) verirrte sich ein Wolf in einen Görlitzer Hinterhof. Er wurde dort mitten am Tag gesichtet und später eingefangen.

Künftig dürfte es Wölfen per Gesetz leichter an den Kragen gehen. Kurz vor Weihnachten entschied der Bundestag, dass sie künftig einfacher abgeschossen werden können, um Schafe und andere Nutztiere vor dem Raubtier zu schützen. In Zukunft ist ein Abschuss auch dann möglich, wenn unklar ist, welcher Wolf genau zum Beispiel eine Schafherde angegriffen hat. Es dürfen so lange Wölfe in der Gegend geschossen werden, bis es keine Attacken mehr gibt - auch wenn dafür ein ganzes Rudel getötet wird.

Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf