Fischstäbchen, die im Labor aus Zellen von Fischen gezüchtet wurden, sollen nach den Plänen des Start-up-Unternehmens Bluu Seafood schon bald auf den Tellern der Verbraucher landen. Die Produkte hätten Marktreife erreicht, jetzt gingen sie in das Zulassungsverfahren, sagte der Vizepräsident von Bluu Seafood, Hans-Georg Höllerer. Anfang 2025 könnten die ersten Zuchtfisch-Produkte des Unternehmens in Europa erhältlich sein.
»Wir entnehmen aus dem Gewebe lebender Forellen oder Lachse Stammzellen und lassen sie in einer Nährlösung zu Muskelzellen heranreifen«, sagte Höllerer. Die würden anschließend in einem Bioreaktor auf einem Gerüst aus Kollagen oder Polysacchariden verankert. »Dadurch entsteht eine Struktur aus Muskelfasern, die mit pflanzlichen Proteinen angereichert und zu Fischbällchen oder Fischstäbchen geformt werden kann«, sagte er.
Die Zellen dafür werden nach Unternehmensangaben durch eine Biopsie, also eine Gewebeentnahme von lebenden oder frisch geschlachteten Fischen, gewonnen. »Das ist ein einmaliger Vorgang«, betonte Höllerer. »Da wir eine sogenannte immortalisierte (unsterbliche) Zelllinie kreieren, können die Zellen unbegrenzt wachsen und sich teilen. So können wir eine beliebige Menge an Produkten herstellen, ohne neue Fische töten zu müssen«, erläuterte er. Außerdem sei der kultivierte Fisch im Gegensatz zu Wildfängen oder Fisch aus Fischfarmen frei von Mikroplastik, Medikamenten oder Schwermetallen.
Derzeit werde noch im Labormaßstab produziert
Entstanden ist das Unternehmen im Jahr 2021 als Ausgründung des Fraunhofer-Entwicklungszentrums für Marine und Zelluläre Biotechnologie (EMB) in Lübeck. In dem Zentrum werde bereits seit Jahren unter anderem zur Kultivierung von Nahrungsmitteln auf Zellbasis geforscht, sagte der Leiter der Einrichtung, Charli Kruse. »Das erste Patent zu fleischähnlichen zellbasierten Lebensmitteln haben wir hier schon 2004 entwickelt«, sagte er. »Die Kultivierung von Fischzellen ist nicht schwieriger, als die von Säugetierzellen. Mit denen gibt es nur mehr Erfahrung«, sagte Kruse.
Derzeit werde noch im Labormaßstab produziert, sagte der Gründer und Geschäftsführer von Bluu Seafood, Sebastian Rakers. »Doch wir wollen voraussichtlich Ende 2022 in Hamburg eine Produktionsstätte errichten, in der pro Monat mehrere hundert Kilogramm Biomasse kultiviert werden können«, sagte er.
Derzeit werde noch an der Optimierung der Prozesse gearbeitet, um die Produktionskosten zu senken. »Im Moment kostet die Herstellung von einem Kilogramm Biomasse noch etwa 100 Euro, rund die Hälfte davon entfällt auf die Wachstumslösung für die Zellen«, sagte Rakers. »Diese Kosten wollen wir in den nächsten fünf Jahren auf etwa einen Euro je Kilo senken.«
Erste Zulassung wohl in Singapur
Mit der Zulassung und Markteinführung erster Produkte rechnet das Unternehmen ab 2023. Das werde voraussichtlich als erstes in Singapur der Fall sein, weil der Zulassungsprozess dort bereits am weitesten ausdefiniert sei, sagte Höllerer. »Darüber hinaus werden wir die Zulassung auch in den USA, in Großbritannien und der EU beantragen«, sagte er. Auch andere Unternehmen, etwa in den USA oder Asien, arbeiten an der Entwicklung zellbasierter Fisch- und Meeresfrucht-Produkte.
Der Fischereibiologe Rainer Froese vom Kieler Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Geomar hält dagegen wenig von zellbasierter Fischzucht. »Die Natur hat bereits völlig kostenlos Wild-Fische wachsen lassen, die wir nur nachhaltig ernten müssten«, sagte er. Nachhaltig wäre es, pro Jahr etwa 20 Prozent der vorhandenen Wild-Fischmenge zu fangen. Gegenwärtig würden jedoch 40 bis 60 Prozent abgefischt, sagte er.
In einer 2018 in der Zeitschrift »Marine Policy« veröffentlichten Studie kommen Froese und seine Kollegen vom Geomar-Institut zu dem Ergebnis, dass bei nachhaltiger Befischung in Europa dauerhaft mehr als 5 Millionen Tonnen pro Jahr mehr gefangen werden könnten. »Zellbasierter Fisch wird meiner Ansicht nach ein Nischenprodukt bleiben, die Welt kann man damit mit Sicherheit nicht ernähren«, sagte Froese.
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