Vor gut einem Monat sorgte heftiges Brodeln auf der Sonne für die stärksten Sonnenstürme seit 20 Jahren - sie erreichten auf der entsprechenden Skala mit G5 die höchste Stufe.
Nun fordert ein britischer Weltraumwetter-Experte im Fachblatt »Nature« eine Überarbeitung der Skalen: Diese ließen keinen Platz für einmal im Jahrhundert auftretende Superstürme - obwohl diese eine durchaus drohende Realität seien.
Im Mai zogen spektakuläre Polarlichter über vielen Teilen der Welt die Menschen in ihren Bann - Ergebnis der derzeit ungewöhnlich starken Sonnenaktivität. Diese sorgte allerdings nicht nur für farbenfrohe Naturschauspiele, sondern auch für Funktionsstörungen bei Satelliten, etwa bei der europäischen Raumfahrtbehörde Esa, und den Internetverbindungen von Starlink.
In Nordamerika klagten Landwirte über einen Ausfall des satellitengestützten Navigationssystems GPS, wie etwa die »New York Times« berichtete. Sie mussten demnach ihre Aussaat unterbrechen, da sie das System bei der Arbeit auf den Feldern nutzen.
Einfache Skalen für ein kompliziertes Phänomen
Eben jene Phänomene veranschaulichen für den Weltraumwetter-Forscher Sean Elvidge ein Dilemma, mit dem sich seine Fachrichtung konfrontiert sehe: »Wie können wir wirksame Warnungen herausgeben und kommunizieren, wenn selbst ein so bedeutender Sturm nur wenig am Leben der meisten Menschen ändert?« Ein Teil des Problems liege darin, wie Weltraumwetter klassifiziert werde, so Elvidge, der an der britischen Universität Birmingham forscht. »Die derzeitigen Systeme sind vereinfacht, das Weltraumwetter ist es nicht.«
Die Stärke von Sonnenstürmen wird laut Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in drei jeweils fünfstufigen Kategorien angegeben: - R für Radiostörungen, ausgelöst durch Röntgenblitze - S für Strahlungseffekte, verursacht durch hochenergetische Teilchen - G für geomagnetische Effekte, ausgelöst durch Plasmawolken.
Solche Skalen sind laut Elvidge von unschätzbarem Wert, wenn es darum geht, Industrie und Regierungen das Risiko durch Weltraumwetter zu deutlichen. »Aber sie sind überholungsbedürftig«, meint Elvidge angesichts jenes geomagnetischen Sturms, der die Polarlichter im Mai verursachte. Der war als G5, also extrem, eingestuft worden. »Dieser Sturm wurde durch eine rasche Abfolge von mindestens sieben koronalen Massenauswürfen ausgelöst«, schreibt der Experte. »Als diese mit dem Magnetfeld der Erde kollidierten, komprimierten und störten sie es und lösten so geomagnetische Stürme aus.«
Kein Raum für Superstürme auf der Skala
Elvidge erklärt in seinem Meinungsartikel, dass der Sturm durch viele Faktoren wie Geschwindigkeit, Masse, Dauer und magnetische Ausrichtung der koronalen Massenauswürfe beeinflusst wurde. Gerade die lange Dauer mache den Mai-Sturm zu einem außergewöhnlichen Ereignis: »Wenn ein Ereignis wie das vom Mai, das als «extrem» eingestuft wird, nur zu minimalen offensichtlichen Störungen führt, wie sollen dann die Risiken eines noch stärkeren Sturms, der einmal in 100 Jahren auftritt, vermittelt werden?«
Dem Weltraumwetter-Forscher zufolge sei ein solcher Supersturm ein drohendes Szenario - mit gravierenden Folgen, dessen Kosten Milliarden US-Dollar betragen könnten. Elvidge listet Stromnetze, Satelliten sowie Funksignale für Luftfahrt, Schifffahrt und Notdienste als Bereiche, die ein solcher Extremsturm beeinträchtigen könnte.
Um die Schwere solcher Stürme angemessen zu vermitteln, gebe es bereits Vorschläge, darunter eine Erweiterung der bestehenden Skalen oder die Einführung neuer Phänomene wie der Strahlungsdosierung oder der Ausbreitung von Radiowellen in der oberen Erdatmosphäre.
Elvidge selbst plädiert für ein Ampel-System, das vor allem diejenigen schnell informiert, die in erster Linie betroffen sein könnten: »So könnten beispielsweise gelbe Weltraumwetter-Warnungen Branchen wie die Luftfahrt und die Landwirtschaft warnen, die von kleineren geomagnetischen Stürmen betroffen sein könnten. Eine orangefarbene Warnung könnte Nutzer wie Stromnetz- und Radarbetreiber auffordern, vorbeugende Maßnahmen zum Schutz ihrer Dienste zu ergreifen und sich auf Unterbrechungen vorzubereiten. Eine rote Warnung würde signalisieren, dass gefährliches Weltraumwetter zu erwarten ist, dessen potenziell erhebliche Auswirkungen sofortiges Handeln erfordern, und dass Energieversorger, Satellitenbetreiber und Notdienste unverzüglich Notfallpläne umsetzen müssen.«
Der Experte schlägt vor, dass Weltraumwetter-Zentren weltweit gemeinsam einen einheitlichen Ansatz zur Verfeinerung von Weltraumwetter-Berichten und Reaktionsstrategien diskutieren und vereinbaren sollten.
»Während wir uns auf dem Höhepunkt des Sonnenzyklus befinden, ist es wichtig zu erkennen, dass das Weltraumwetter unser tägliches Leben beeinflusst«, betont Elvidge. Tatsächlich schwankt die Aktivität der Sonne in einem etwa elfjährigen Zyklus. Der aktuelle Zyklus hat gerade sein Maximum - ein solches dauert ein paar Jahre und geht mit relativ vielen Sonneneruptionen einher. Elvidge schreibt: »Durch die Verfeinerung der Klassifizierungs- und Meldesysteme können Wissenschaftler die öffentliche Wahrnehmung besser mit der Realität in Einklang bringen und sicherstellen, dass wir weder falschen Alarm schlagen noch unvorbereitet sind.«
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