Staunen, Unglauben und teilweise blankes Entsetzen: Als am 22. Februar 1997 die Nachricht vom ersten erfolgreichen Klonen eines ausgewachsenen Säugetiers in Form des Schafs Dolly auf der ganzen Welt Schlagzeilen machte, rief das heftige Reaktionen hervor.
Der Durchbruch weckte Fantasien, Hoffnungen und Ängste - von denen sich viele als unbegründet herausstellten. Auf dem Deckblatt des »Spiegel« marschierten reihenweise Klone Adolf Hitlers, Albert Einsteins und Claudia Schiffers im Gleichschritt zu dem Titel »Der Sündenfall«. Dahinter lugte Dolly hervor.
Der renommierte deutsche Immunologe und Genforscher Klaus Rajewsky hielt die Sensation für das Resultat eines Irrtums im Labor. »Ich glaube bis heute nicht, dass es möglich ist, aus Körperzellen einen Embryo zu klonen«, sagte er bei einer Fachkonferenz drei Wochen nach Bekanntwerden des Durchbruchs. Doch er war es, der sich geirrt hatte.
25 Jahre später haben sich die Wogen geglättet. Im Roslin-Institut der Universität Edinburgh, wo Dolly einst entstand, wird heute nicht mehr geklont. Trotzdem ist Institutsdirektor Bruce Whitelaw dankbar für das Interesse, das Dolly der Wissenschaft einbrachte. »Es brachte die Biologie an den Frühstücks- und Abendbrottisch, die Busfahrt und überallhin. Diese Zunahme an öffentlichem Interesse und Wahrnehmung ist wahrscheinlich eines der größten Vermächtnisse Dollys«, sagte der Wissenschaftler im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.
Andere Erkenntnis als zuerst vermutet
Der wissenschaftliche Wert der Erschaffung Dollys lag, anders als es die Schlagzeilen vor einem Vierteljahrhundert vermuten ließen, weniger in der Erzeugung einer genetisch identischen Kopie eines Individuums. Wichtiger dürfte der Nachweis gewesen sein, dass Körperzellen, die bereits eine feste Funktion im Organismus übernehmen, wieder in sogenannte Stammzellen umgewandelt werden können, deren Funktion noch nicht festgelegt ist.
Dolly entstand aus einer am Euter entnommenen Zelle eines sechs Jahre alten Schafs. »Diese Idee, dass man eine Zelle umprogrammieren kann, war einer der treibenden Faktoren der gesamten Stammzellforschung seit Dolly«, sagt Whitelaw. Bis dahin kannte man die Fähigkeit, sich in beliebiger Weise weiterzuentwickeln, nur von embryonalen Zellen.
Befürchtungen, das Klonen von Menschen werde sich nicht aufhalten lassen, haben sich als falsch herausgestellt. Doch Whitelaw betont, dass die Debatte darum wichtig war, um die Standards für die Wissenschaft zu etablieren.
Menschliche Klone wurden bislang nicht erschaffen. Andrew Kitchener vom National Museum in Edinburgh, wo die ausgestopfte Dolly inzwischen als Exponat zu sehen ist, glaubt auch nicht, dass damit zu rechnen ist. Es fehle schlicht der praktische Nutzen. Zudem sei das Klonen von Menschen aus ethischen Gründen auf der ganzen Welt verboten. »Ich kann mir einfach keine Umstände ausmalen, in denen sich das ändern sollte«, sagt er im dpa-Gespräch.
Klonen von Haustieren
Geklont wird inzwischen vor allem im kommerziellen Bereich. Es geht unter anderem darum, Nutztiere mit besonders begehrten Merkmalen und Eigenschaften zu reproduzieren, beispielsweise bei der Zucht von Renn- oder Polo-Pferden. Whitelaw vergleicht es mit der abergläubischen Angewohnheit eines Hockey-Spielers, der glaubt, nur erfolgreich sein zu können, wenn er immer denselben Schläger benutzt. Manche Menschen lassen ein geliebtes Haustier klonen. Angebote für Klon-Hunde gibt es im Internet für 50.000 US-Dollar (umgerechnet rund 44.000 Euro).
Vielversprechender als das Klonen eines einzelnen Individuums ist für Industrie und Wissenschaft die auch als Genschere bezeichnete Methode Crispr/Cas, mit der das Genom von Zellen präzise verändert werden kann. Mit dieser Technik entwickeln die Forscher am Roslin Institute inzwischen genetisch veränderte Schweine, die resistent gegen Krankheiten wie dem PRRS (Porcine reproductive and respiratory syndrome) sind, einer Krankheit, die Atemwege und Geschlechtsorgane der Tiere befällt. Und auch für Menschen verspricht die Methode Hoffnung im Kampf gegen Krankheiten. Beispielsweise wird an Gentherapien für Menschen mit HIV/Aids oder bestimmten Krebsformen gearbeitet.
Um Dolly in ihrer Vitrine im National Museum in Edinburgh ist es ruhig geworden. Allenfalls ihr Name erregt Anstoß, denn der ist eine Anspielung auf die Euterzelle, aus der sie entstand. Offenbar hatte es jemand lustig gefunden, daraus eine Verbindung zu der für ihre große Oberweite bekannte Country-Sängerin Dolly Parton herzustellen. Die Assoziation wird inzwischen als sexistisch kritisiert. Kurator Andrew Kitchener sieht es gelassen: »Der Name ist über seinen Ursprung hinausgewachsen«, sagt er.
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