Die abgenutzten Überreste der mehr als 7000 Jahre alten Kanus lassen nur erahnen, wie ausgeprägt das Wissen über die Seefahrt bereits in der Jungsteinzeit gewesen sein muss. Die Funde in der Nähe des Braccianosees unweit der italienischen Hauptstadt Rom weisen darauf hin, dass Menschen schon vor Jahrtausenden in technisch hoch entwickelten Booten das Mittelmeer befuhren, wie ein Forscherteam im Fachjournal »PLOS ONE« berichtet. Die Funde seien zudem ein Hinweis darauf, dass viele wichtige Fortschritte in der Seefahrt bereits während der Jungsteinzeit gemacht wurden.
Bei Ausgrabungen im historischen Dorf La Marmotta am Ufer des Braccianosees in der Region Latium hatten Forscher fünf aus ausgehöhlten Bäumen gebaute Kanus gefunden. Sie wurden auf eine Zeit zwischen 5700 und 5100 vor Christus datiert. Eines der Boote ist ein großer Einbaum aus einer Eiche, mehr als zehn Meter lang und am Heck gut einen Meter breit. Ein weiterer Einbaum sei aus Erle gefertigt und womöglich ein Fischerboot gewesen, hieß es.
Die Ausgrabungsstätte befindet sich heute in der Stadt Anguillara Sabazia. Die Analyse der Einbäume habe ergeben, dass sie aus vier verschiedenen Baumarten (Pappel, Erle, Eiche, Buche) gebaut wurden. Da sie alle rund um La Marmotta gefunden wurden, sei dies ungewöhnlich. Es zeige sich auch, dass sie mit verhältnismäßig fortschrittlichen Bautechniken wie Querverstärkungen angefertigt worden seien. Vermutlich seien sie mit spezialisierten Werkzeugen, darunter Äxten, hergestellt worden. Zudem wurde das Innere wohl durch Ausbrennen ausgehöhlt.
Lage am Braccianosee ermöglichte Fahrt zum Mittelmeer
La Marmotta ist für die Erforschung der historischen Seefahrt ein wichtiger Bezugspunkt: Die Lage am Braccianosee ermöglichte die Fahrt zum Mittelmeer, da der See durch den Fluss Arrone mit dem Tyrrhenischen Meer, also dem Teil des Mittelmeers vor Italiens Westküste, verbunden ist. Die Forscher vermuten, dass in der Nähe von La Marmotta noch weitere Boote erhalten sind, die ein möglicher Ansatzpunkt für künftige Forschung sein könnten.
Besonders an den Funden ist nach Angaben der Forschenden die technische Raffinesse, mit der die Boote gebaut wurden. Bei dem mehr als zehn Meter langen Einbaum fand man etwa eine Reihe von Löchern, die wahrscheinlich zur Befestigung von Seilen, möglicherweise für Segel, dienten. Der Bau der Boote muss ein detailliertes Verständnis der strukturellen Konstruktion und der Holzeigenschaften sowie gut organisierte Facharbeit erfordert haben, wie es hieß. Die Einbäume seien die bisher ältesten bekannten im Mittelmeerraum.
Im Neolithikum, auch Jungsteinzeit genannt, begannen sich bäuerliche Gemeinschaften in Europa und Nordafrika auszubreiten. Die Anfänge im Nahen Osten werden um das Jahr 10.000 vor Christus datiert, Gemeinschaften aus dieser Region besiedelten um etwa 7500 vor Christus den gesamten Mittelmeerraum.
Es liege auf der Hand, dass im Zuge dessen das Mittelmeer für Reisen und Transporte genutzt wurde, hätten Boote doch ein schnelles Fortkommen und einen raschen Austausch von Waren ermöglicht, erklärt das Team um Juan Gibaja vom Spanischen Nationalen Forschungsrat in Barcelona. Vermutlich hätten die Menschen damals hauptsächlich kurze Fahrten entlang der Küstenlinie unternommen.
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