Die Energiebranche sieht Ziele beim Ausbau der Elektromobilität in Deutschland in Gefahr. Zwar hätten die Zulassungszahlen für Elektroautos seit 2020 spürbar angezogen und der Markt wachse stabil, sagte Kerstin Andreae, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) am Dienstag in Berlin. Das Ziel von 15 Millionen E-Pkw, die laut Koalitionsvertrag 2030 auf den Straßen fahren sollen, werde aber mit den bisherigen Maßnahmen nicht erreicht.
Andreae forderte die Bundesregierung zu einer »15 Millionen E-Auto Strategie« auf. Unter Verweis auf eine Umfrage des Verbandes unter E-Auto-Nutzern sagte sie, die Anschaffungskosten seien ein entscheidender Punkt. Das Zurückfahren der staatlichen Förderung sei nicht hilfreich gewesen. Käufer von reinen Elektroautos bekommen seit Anfang des Jahres weniger Unterstützung vom Staat.
Mehr steuerliche Anreize für den Kauf von E-Autos?
Auf Fragen zum Beispiel, ob es mehr steuerliche Anreize für den Kauf eines E-Autos geben sollte, wollte Andreae nicht antworten. Dies sei nicht Sache der Energiewirtschaft.
Derzeit sind in Deutschland rund eine Million reine E-Autos zugelassen - bei insgesamt rund 48,8 Millionen Pkw. Das Ziel von 15 Millionen Elektroautos bis 2030 soll ein wichtiger Beitrag sein, um Klimaziele im Verkehrssektor zu erreichen.
Der BDEW nannte zudem das Ziel der Bundesregierung von einer Million öffentlich zugänglichen Ladepunkten bis 2030 als »technisch überholt«. Seit 2019 habe sich die Ladeleistung bei Fahrzeugen und Ladesäulen verdreifacht. Damit könnten pro Tag deutlich mehr Fahrzeuge an einer Ladesäule laden. Nicht mehr die Anzahl, sondern die installierte Ladeleistung sei relevant. Im vergangenen Jahr seien 80 Prozent mehr »Ultra-Schnellladepunkte« mit einer Ladeleistung von über 150 Kilowatt dazugekommen. Derzeit gibt es rund 80 000 öffentlich zugängliche Ladepunkte. In Deutschland sind laut BDEW rund 20 Prozent mehr Ladeleistung installiert als nach europäischen Vorgaben gefordert.
Kritik aus der Automobilindustrie
Kritik kam vom Verband der Automobilindustrie. Eine Sprecherin warnte davor, das Ausbauziel bei den Ladepunkten über Bord zu werfen. »Das würde die Elektromobilität ausbremsen.« Auch bei der Schnellladeinfrastruktur bestehe erheblicher Nachhol- und Verbesserungsbedarf. In mehr als acht von zehn Gemeinden Deutschlands gebe es nicht einen einzigen Schnellladepunkt. Auch das Stromnetz müsse entsprechend ausgebaut werden. »Hier gibt es erheblichen Nachholbedarf.«
Deutschlands größter Tankstellenbetreiber Aral kündigte an, die Anzahl seiner ultraschnellen Ladepunkte bundesweit im laufenden Jahr auf 3000 verdoppeln zu wollen. Dafür werde man bis zu 100 Millionen Euro investieren, teilte das zum britischen Ölkonzern BP gehörende Unternehmen in Bochum mit. Geplant seien Ladeleistungen von bis zu 300 Kilowatt. Damit könnten Autofahrer bei entsprechender Fahrzeugtechnik innerhalb von zehn Minuten grünen Strom für eine Reichweite von bis zu 350 Kilometern beziehen. Die Ladesäulen stehen etwa an Tankstellen, Supermärkten und Restaurants.
E-Mobilität wird zum Zukunftsgeschäft für Tankstellen
Die Geschäftszahlen des vergangenen Jahres zeigten, dass sich E-Mobilität immer mehr zum Zukunftsgeschäft für Tankstellen entwickele, berichtete Aral.
Nach einem BDEW-»Elektromobilitätsmonitor« sind Förderprogramme des Bundes keineswegs allein Treiber des Ladesäulenausbaus. Die meisten Unternehmen verzichteten sogar auf die Förderung, da sie mit zu viel Förderbürokratie verbunden sei. Der Ausbau läuft heute vor allem wettbewerbsgetrieben, hieß es.
Andreae sagte, die Betreiber erwarteten, dass Ladesäulen profitabel seien. Allerdings liege die durchschnittliche Auslastung des Ladeparks nur zwischen 15 und 20 Prozent. Andreae betonte zudem die Bedeutung des Ladens in der eigenen Garage. Sie forderte den Bund auf, bundeseigene Flächen zur Verfügung zu stellen.
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