BERLIN/WIESBADEN. Beim Einkaufen ist es nicht zu übersehen: Die Preise für Lebensmittel steigen derzeit stark. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes lagen sie im November um satte 4,5 Prozent über dem Vorjahresniveau. Nicht zuletzt Fleisch und Molkereiprodukte verteuerten sich kräftig.
Zugleich wettert Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) über »Ramschpreise« für Agrarprodukte und Landwirte fordern lautstark mehr Geld. Wie teuer sollten Lebensmittel eigentlich sein?
Die Preise in Europa
Fest steht: Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke sind in einigen europäischen Ländern deutlich teurer als in Deutschland. In der Schweiz müssen die Menschen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes für Lebensmittel fast 60 Prozent mehr zahlen, in Norwegen 45 Prozent und in Irland 14 Prozent mehr. In anderen Ländern wie Frankreich (4 Prozent), Österreich (3 Prozent) oder Italien (1 Prozent) bewegen sich die Preise dagegen auf einem ähnlichen Niveau wie in der Bundesrepublik. Und in Großbritannien, den Niederlanden, Spanien und vor allem in vielen Länder Osteuropas ist der Einkauf sogar deutlich billiger. Bei der Suche nach dem »richtigen« Preis hilft das allerdings kaum weiter.
Die Ausgabenbereitschaft der Verbraucher
Bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern in Deutschland ist die Bereitschaft, für gutes Essen etwas mehr auszugeben, zuletzt gestiegen. »In der Corona-Zeit waren die Menschen bereit, höhere Preise für Nahrungsmittel zu zahlen und haben höhere Qualität nachgefragt«, sagte der Handelsexperte Robert Kecskes vom Marktforschungsunternehmen GfK der dpa. Ein Grund dafür sei sicher, dass durch coronabedingt ausgefallenen Gastronomie-, Kino- und Konzertbesuche mehr Geld in der Kasse gewesen sei. Ob der Trend nach der Pandemie anhalte, müsse sich noch erweisen.
Zuletzt wurde Kecskes zufolge in Deutschland auf jeden Fall weniger, aber dafür höherwertiges Fleisch gekauft. Allerdings schränkte der Branchenkenner auch ein: »Damit sind wir noch lange nicht bei Preisen die adäquat sind, weil die Menschen jahrzehntelang auf supergünstige Fleischpreise sozialisiert worden sind.«
Die Wünsche der Bauern
Dem würde Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied wohl uneingeschränkt zustimmen. Er sagte der »Bild«-Zeitung (Dienstag): »Unsere hochwertigen Lebensmittel haben einen höheren Preis verdient.« Hierzu müssten alle beitragen, von der verarbeitenden Industrie über den Handel bis zu den Verbrauchern. Der Handelsverband Deutschland (HDE) warnte unterdessen vor Mindestpreisen. Ein solcher Eingriff in die Freiheit des Handels sei unverhältnismäßig und »wahrscheinlich auch verfassungswidrig«.
Die Realität an der Kasse
Allerdings ist auf den guten Willen der Verbraucher allein nicht unbedingt Verlass. »Dass sich das Problem allein durch die Einsicht der Verbraucher lösen lässt, ist kaum zu erwarten«, meint der Marketing-Experte Ulrich Enneking von der Hochschule Osnabrück. Der Professor verweist auf einen Feldversuch, in dem er vor Ausbruch der Pandemie die Ausgabenbereitschaft der Kunden in der Realität testete. In 18 Supermärkten und Discountläden hatten Verbraucher dabei zwei Monate lang bei Bratwurst, Minutensteak und Gulasch aus Schweinefleisch die Wahl zwischen einer Billig-Variante ohne Tierwohl-Anspruch, teurem Bio-Fleisch und einem Tierwohl-Produkt im mittleren Preissegment. Das Ergebnis: Fast drei Viertel der Kunden bevorzugten das Billigangebot. Daran änderten auch große Hinweisschilder, die auf das Tierwohlangebot hinwiesen, nichts. Für Enneking steht deshalb fest: »Es geht nicht ohne politische Maßnahmen - ob das ökonomische Anreize sind oder einfach Verbote.«
Die »wahren Kosten von Lebensmitteln«
Eigentlich müssten Fleisch, Milch und Käse nach einer Studie des Wirtschaftsinformatikers Tobias Gaugler viel mehr kosten, als heute üblicherweise verlangt wird. »Umweltschäden finden aktuell keinen Eingang in den Lebensmittelpreis. Stattdessen fallen sie der Allgemeinheit und künftigen Generationen zur Last«, bemängelte der am Lehrstuhl für Nachhaltigkeitswissenschaft der Universität Greifswald tätige Wissenschaftler schon im vergangenen Jahr. Würden in den Preisen die Folgen der bei der Produktion entstehenden Treibhausgase, die Folgen der Überdüngung, der Energiebedarf und andere Effekte berücksichtigt, müsste der Studie zufolge Hackfleisch fast drei Mal so teuer seien; Milch und Gouda müssten fast doppelt so viel kosten.
Bei den Preisen umzusteuern sei eine große Herausforderung, sagte Gaugler. Natürlich könne man versuchen, an einzelnen Stellschrauben zu drehen: etwa den Verkauf von Lebensmitteln zu Dumpingpreisen verbieten oder die Mehrwertsteuer für Bioprodukte senken. Doch eigentlich müsse es darum gehen, einen großen Wurf zu wagen.
Vorbild Kohleausstieg
Dazu müsse man zuerst klären, wo man als Gesellschaft hinwolle: beim Tierwohl, bei dem Erhalt der Umwelt, bei den Produktionsbedingungen in den Herkunftsländern von Kaffee oder Bananen, aber auch wie man mit den sozialen Aspekten einer Verteuerung der Lebensmitteln in Deutschland umgehe. Eine wichtige Frage sei auch, ob die Auswirkungen der Nahrungsmittel auf die Gesundheit wie beim Tabak in die Preisgestaltung einfließen sollten.
Letztlich sei wohl eine Ernährungs- und Agrarwende nötig, die aber ohne plötzliche Brüche erfolgen müsse, meinte Gaugler. Machbar wäre das in seinen Augen. Vorbild könne vielleicht der Kohleausstieg sein. (dpa)