Die Deutsche Bahn läuft ihrem selbstgesteckten Pünktlichkeitsziel für 2023 im Fernverkehr weiter hinterher: In den ersten sechs Monaten dieses Jahres waren lediglich 68,6 Prozent der ICE- und IC-Züge pünktlich unterwegs, wie der Konzern mitteilte.
Eigentlich hat sich die Bahn für das laufende Jahr eine Pünktlichkeitsquote von mehr als 70 Prozent vorgenommen. Allein im Juni kamen indes lediglich 63,5 Prozent der Fernzüge ohne größere Verzögerung am Ziel an. Das ist der schlechteste Wert im laufenden Jahr. Der bisher stabilste Monat war der Januar mit 73,2 Prozent.
Als pünktlich geht ein Zug in die Statistik ein, solange er nicht mit mehr als sechs Minuten Verzögerung an einem Bahnhof ankommt. Zugausfälle oder verpasste Anschlusszüge werden nicht berücksichtigt. Daher tauchen auch die beiden Warnstreiks der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) im März und April mit Tausenden Zugausfällen nicht in der Statistik auf.
Immerhin: Zuletzt lief es auf der Schiene wieder etwas zuverlässiger als im Vorjahr. Im Juni 2022 waren sogar nur 58 Prozent der Fernzüge pünktlich.
Viele Baustellen
Der Hauptgrund für die Verspätungen ist die an vielen Stellen marode Infrastruktur: Das gut 33.000 Kilometer umfassende Streckennetz der DB ist in großen Teilen dringend sanierungsbedürftig, auf manchen Strecken kommt es fast täglich zu Störungen. Deshalb baut und saniert die Bahn wo sie kann - und bremst damit die Züge aus. »Aktuell fahren fast 70 Prozent der ICE- und IC-Züge durch mindestens eine Baustelle«, teilte die Bahn mit.
Die Baustellen mit den derzeit größten Auswirkungen laufen demnach auf den Strecken Kassel-Fulda, Nürnberg-Würzburg sowie am digitalen Knoten Stuttgart.
Hunderte zusätzliche Baustellen gibt es derzeit, weil die Bahn in Folge des Zugunglücks in Garmisch-Partenkirchen im vergangenen Jahr Hunderttausende Betonschwellen überprüft und austauscht. »Damit verbunden sind über 400 zusätzliche Baustellen im Schienennetz, die sich auf Reisende und Güterverkehrskunden erheblich auswirken«, teilte er Konzern Anfang Juni mit.
Besserung nicht in Sicht
Dass sich das Pünktlichkeitsproblem bald bessert, ist nicht absehbar. Vor allem für das kommende Jahr müssen sich Fahrgäste aufgrund von Sanierungsarbeiten auf Streckensperrungen auf besonders wichtigen Bahn-Korridoren einstellen. Zu weitreichenden Einschränkungen wird es etwa im zweiten Halbjahr auf der vielbefahrenen Strecke Hamburg-Berlin kommen. Von Mitte August bis Mitte Dezember 2024 sollen dort rund 100 Weichen und 74 Kilometer Gleise erneuert werden.
Hinzu kommt die im kommenden Jahr beginnende Generalsanierung wichtiger Korridore: Los geht es im Sommer auf der Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim, einer der am meisten befahrenen Bahnstrecken Deutschlands. Sie wird vollständig modernisiert und dafür ein halbes Jahr gesperrt. 2025 beginnt die Generalsanierung dann erneut auf der Strecke Hamburg-Berlin.
Langfristziel 80 Prozent Pünktlichkeit
Ziel der Bahn ist es, bis 2030 mit den Generalsanierungen auf 40 Strecken ein Hochleistungsnetz zu gewährleisten, auf dem der Verkehr zuverlässiger läuft und zudem mehr Züge fahren können. Nach der Riedbahn soll die vor allem für den Güterverkehr wichtige Trasse Emmerich-Oberhausen modernisiert werden. Insgesamt geht es einem Bahn-Papier von Februar zufolge um rund 4200 Kilometer Strecke.
Die Bahn fährt schon seit Jahren ihren Pünktlichkeitszielen hinterher. Besonders unzuverlässig war der Konzern 2022. In manchen Monaten war fast jeder zweite Zug mit Verspätung unterwegs. Mit der Generalsanierung dutzender Strecken peilt der Konzern mittelfristig wieder eine Pünktlichkeitsquote von mehr als 80 Prozent an. Ab wann dieses Ziel realistisch ist, ist derzeit noch völlig offen.
Vergleich mit dem Ausland
Neidisch können viele Fahrgäste in Deutschland nur in andere Länder gucken. Bei den Schweizer Bahnen (SBB) etwa sind zwar bereits 93 Prozent der Züge pünktlich, das heißt, sie haben weniger als drei Minuten Verspätung. Aber das Unternehmen will die Effizienz noch weiter steigern. In Japan erreichen die Züge sogar eine Pünktlichkeit von nahezu 100 Prozent.
Das sei in Deutschland allerdings nicht machbar, betonte Bahn-Fernverkehrsvorstand Michael Peterson jüngst. »In Deutschland teilen sich Güter-, Regional- und Fernverkehrszüge ein und dasselbe Schienennetz. Dieses Konzept ist nicht auf 99 Prozent Pünktlichkeit ausgelegt«, sagte er kürzlich der »Augsburger Allgemeinen«.
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