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Ukraine-Krieg lässt Dünger knapp und teuer werden

Der Krieg in der Ukraine verschärft den Preisanstieg bei Düngemitteln. Mögliche bis wahrscheinliche Folgen: teurere Lebensmittel und niedrigere Ernten.

Dünger
Der Ukraine-Krieg lässt Dünger knapp und teuer werden. Foto: Jens Büttner
Der Ukraine-Krieg lässt Dünger knapp und teuer werden.
Foto: Jens Büttner

Der russische Angriff auf die Ukraine trifft die weltweite Nahrungsmittelversorgung an einer empfindlichen Stelle: Vor allem in ärmeren Teilen der Welt könnte Dünger in diesem Jahr knapp und zu teuer für die Bauern werden.

In den Industriestaaten tragen exorbitant hohe Düngerpreise zur Teuerung bei Lebensmitteln bei, wie Fachleute für den Agrarmarkt sagen. Zudem ist auch in Deutschland und Europa nicht ausgeschlossen, dass die Erntemengen in diesem Jahr geringer ausfallen, wenn weniger gedüngt wird.

Die Düngerpreise sind vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine und dessen Auswirkungen auf die internationalen Handelsströme auf ein Rekordhoch gestiegen, analysiert die CRU Group in London, ein auf die globalen Rohstoffmärkte spezialisiertes Marktforschungsinstitut.

Preisanstieg schon vor dem Krieg

Der rasante Preisanstieg begann lange vor dem Krieg: Seit Anfang 2020 haben sich laut CRU die Preise für Stickstoffdünger vervier-, für Phosphat und Kali mehr als verdreifacht. Grund ist der vorangegangene rasante Anstieg der Energiepreise: »Erdgas ist sowohl als Energiequelle wie als Rohstoff essenziell bei der Ammoniakherstellung, dem Grundstoff für die allermeisten Stickstoff-Düngemittel«, sagt Sven Hartmann, Leiter des Fachbereichs Pflanzenernährung beim Industrieverband Agrar in Frankfurt.

»Der Gaspreis macht deshalb bei Stickstoff-Düngemitteln etwa 80 bis 90 Prozent der Produktionskosten aus, insofern sind vor allem die europäischen Hersteller sehr stark hiervon betroffen.«

Russland spielt in Sachen Dünger eine doppelte Rolle auf dem Weltmarkt - als wichtiger Lieferant sowohl von Erdgas als auch von Stickstoff, Phosphat und Kali. Stickstoff ist essenziell für das Pflanzenwachstum, Phosphat und Kali sind wichtig für Wurzelbildung und Blüten.

»Der Handel über das Schwarze Meer« - eine Hauptroute für Ammoniak-Exporte - »ist komplett blockiert«, sagt Shruti Kashyap, Chefanalystin für Stickstoff bei CRU.

»Babynahrung für Pflanzen«

Und das ist keine gute Nachricht für Ackerbauern: »Stickstoff ist wie Babynahrung für Pflanzen«, sagt Kashyap. Das ist nicht übertrieben: Die Entwicklung des synthetischen Stickstoffdüngers vor dem Ersten Weltkrieg ermöglichte eine dramatische Steigerung der Erntemengen.

Das war Voraussetzung für die Vervielfachung der Weltbevölkerung auf sieben Milliarden Menschen. Erfinder waren zwei deutsche Chemiker: Fritz Haber entwickelte das Verfahren 1908, die industrielle Fertigung in großem Maßstab perfektionierte einige Jahre später der spätere IG-Farben-Vorstandschef Carl Bosch.

Der niederländische Umweltwissenschaftler Jan Willem Erisman und mehrere Kollegen schätzten in einer 2008 erschienenen und häufig zitierten Arbeit, dass ein Hektar Ackerland dank Haber-Bosch-Verfahren heute mehr als doppelt so viele Menschen ernähren kann wie vor dem Ersten Weltkrieg. Im Jahr 2008 verdankten demnach bereits 48 Prozent der Weltbevölkerung ihre Ernährung Haber-Bosch.

Die Folgen der rasant steigenden Energiepreise spürten Düngerproduzenten, Händler und Bauern schon im vergangenen Jahr. Große Hersteller wie das österreichische Unternehmen Borealis haben ihre Produktion zeitweise reduziert, wie eine Unternehmenssprecherin in Wien sagt. »Anlagenstopps können aus wirtschaftlichen Gründen in Erwägung gezogen werden.«

Drosselungen und Einschränkungen

Schon im vierten Quartal des vergangenen Jahres hätten viele Düngerhersteller die Produktion zeitweise gestoppt, sagt Stickstoffexpertin Kashyap. Auch derzeit gebe es in Europa Einschränkungen der Produktion, wenn auch in geringerem Ausmaß.

»Aktuell sind uns in Deutschland keine Drosselungen bekannt, aber das kann sich jederzeit ändern, wenn die Rahmenbedingungen schlechter werden«, sagt Pflanzenernährungschef Hartmann beim Industrieverband Agrar.

Der Düngerabsatz bei Deutschlands größtem Agrarhändler Baywa ist im vergangenen Jahr um mehr als sieben Prozent zurück gegangen, wie Vorstandschef Klaus Josef Lutz jüngst berichtete. Dass die Düngerpreise kurzfristig sinken könnten, glaubt niemand: »Ich würde persönlich eher steigende Preise sehen, oder maximal eine flache Entwicklung«, sagte Lutz. Kashyap erwartet hohe Preise bis ins dritte Quartal.

Sollten die Bauern weniger düngen, wird weniger geerntet werden. »Sofern die betriebliche Situation es zulässt, empfehlen wir, bedarfsgerecht zu düngen«, sagt eine Sprecherin des Bayerischen Bauernverbands in München. »Wir hören aber auch, das der Düngermittelabsatz deutlich zurückgegangen ist, was bei den hohen Kosten nicht verwundert.«

Die wahrscheinlichen Folgen: »Abhängig von der Witterung kann dies auf jeden Fall zu geringeren Erträgen oder schwächeren Qualitäten führen«, sagt die Bauernverbands-Sprecherin.

Doch die spürbarstem Auswirkungen auf die Landwirtschaft wird der Ukraine-Krieg nach Einschätzung von Shruti Kashyap in Afrika und Südamerika nach sich ziehen. Manche Düngemittel könnten Mangelware sein, andererseits könnten die sehr hohen Preise dazu führen, dass Bauern sich Dünger nicht mehr leisten können oder wollen. Diese »Nachfragezerstörung« betrifft nach Kashyaps Einschätzung vor allem Phosphat- und Kalidünger.

Die Analystin erwartet eine Verschiebung der internationalen Handelsströme: Hersteller im Mittleren Osten, die bisher keine Rolle auf dem europäischen Markt spielen, würden Lieferungen in den Westen umleiten. »Europa sollte allen Stickstoff bekommen, den es braucht.« Das sollte die Preise in Europa zumindest stabilisieren - vorausgesetzt, dass die Gaspreise nicht weiter in die Höhe schießen und es nicht zu größeren Produktionsstopps in Europa kommt. »Es werden wahrscheinlich lateinamerikanische und afrikanische Länder sein, die das am stärksten zu spüren bekommen.«

© dpa-infocom, dpa:220326-99-679218/4