Großer Andrang, aber weniger gespendete Lebensmittel: Der Druck auf die Tafeln in Deutschland ist hoch. »Unsere Tafeln sind im Dauerkrisenmodus«, sagte der Vorsitzende des Dachverbandes der Tafel Deutschland, Andreas Steppuhn, der Deutschen Presse-Agentur.
Erst der Krieg in Syrien, dann die Corona-Pandemie und schließlich der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hätten die Lage in den vergangenen Jahren weiter verschärft. »Armut in Deutschland nimmt zu - und das spürbar«, sagte Steppuhn.
Immer mehr Kundinnen und Kunden
Aktuell gibt es den Angaben zufolge 973 Tafeln, die bis zu zwei Millionen Menschen unterstützen. Seit Beginn des Krieges in der Ukraine im Februar vergangenen Jahres melden Tafeln demnach im Durchschnitt 50 Prozent mehr Kundinnen und Kunden. »Das ist regional sehr unterschiedlich«, sagte Steppuhn. Besonders in den Großstädten sei der Andrang groß.
»Die hohe Inflation belastet sowohl die Menschen als auch die Tafeln selbst«, berichtete der Vorsitzende weiter. »Es sind nicht nur geflüchtete Menschen, die zu uns kommen, sondern es sind mittlerweile Rentnerinnen und Rentner, Alleinerziehende oder Menschen im Niedriglohn-Sektor.« Die Scham bei den Kundinnen und Kunden, zu einer Tafel zu müssen, sei oft groß. »Die Menschen, die zur Tafel kommen, haben echte Not und überlegen sich dreimal, ob sie sich bei der Tafel anstellen.«
Lebensmittelverschwendung zu reduzieren, ist in Deutschland ein wichtiges Thema geworden - doch mit Folgen für die Tafeln. »Natürlich begrüßen wir es grundsätzlich, wenn weniger Lebensmittel weggeschmissen werden und die Supermärkte sowie Discounter nachhaltiger arbeiten«, sagte Steppuhn. »Aber es führt natürlich dazu, dass die Tafeln weniger Lebensmittelspenden haben bei gleichzeitig mehr Kundinnen und Kunden.« Gebraucht werden den Angaben zufolge vor allem Lebensmittel wie Reis und Nudeln, die wegen ihres langen Mindesthaltbarkeitsdatums eher weniger gespendet werden.
An der Belastungsgrenze
Vor 30 Jahren wurde laut Dachverband die erste deutsche Tafel in Berlin gegründet. 60.000 Helferinnen und Helfer, davon 90 Prozent Ehrenamtliche, engagieren sich bundesweit bei den Tafeln, wie Steppuhn berichtete. »Eigentlich bräuchten wir viel mehr, die Tafel-Aktiven sind an ihren Belastungsgrenzen.«
Wenn nicht mehr genug Lebensmittel vor Ort da seien oder Öffnungszeiten reduziert werden müssten, gehe das den Ehrenamtlichen sehr nahe. Gleichzeitig hätten die Tafeln aber auch eine Menge Solidarität erlebt - das habe sich auch bei den Geldspenden gezeigt. Allein die Fernsehlotterie habe die Tafel Deutschland Anfang des Jahres mit einer Förderung von 23 Millionen Euro unterstützt. Die Summe sei bereits vollständig zur Verwendung beantragt, das habe vielen Tafeln sehr geholfen.
Steppuhn betonte, dass die Tafel eine Freiwilligen-Organisation sei und keine staatliche Einrichtung. Seine Forderung: »Die Erwartung an die Politik ist, dass Armut endlich mal wirksam bekämpft wird, denn als Tafeln können wir nicht alles lösen.«
Die Vorstandsvorsitzende des Sozialverbandes Deutschland, Michaela Engelmeier, erklärte auf Anfrage, die hohe Kundenzahl der Tafeln spreche eine deutliche Sprache. »Wir brauchen Löhne und Renten, von denen Menschen auch wirklich leben können - dazu gehört ein Mindestlohn von 15 Euro«, sagte sie. »Solange das nicht passiert, werden Millionen bei der Tafel ihren Kühlschrank aufstocken müssen.«
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