Logo
Aktuell Wirtschaft

Streik in Gräfenhausen hält an

Zunächst standen die Zeichen im zweiten Fahrerstreik innerhalb weniger Monate auf der Raststätte auf schnelle Einigung. Doch jetzt gibt es weder Gespräche noch Geld. Die Fahrer wollen ausharren.

Lkw-Fahrer streiken
Mehrere Lkws einer polnischen Spedition stehen an der Raststätte Gräfenhausen während eines Streiks. Foto: Andreas Arnold/DPA
Mehrere Lkws einer polnischen Spedition stehen an der Raststätte Gräfenhausen während eines Streiks.
Foto: Andreas Arnold/DPA

In großen weißen Lettern haben die Fahrer den Namen ihres Arbeitgebers auf die blaue Plane eines der an der Raststätte Gräfenhausen stehenden Lastwagen geklebt und darunter: »No money«, kein Geld.

Autofahrer, die auf der seit Freitag für Lastwagen gesperrten Raststätte eine Pause einlegen und neugierig auf die Masse blauer Lastwagen auf dem bis zum letzten Platz gefüllten Parkplatz blicken, können so gleich sehen, worum es den Fahrern geht. Sie warten auf ausstehenden Lohn von der polnischen Spedition, für die sie auf deutschen Autobahnen unterwegs sind. Geld haben sie seit Monaten nicht gesehen, ihre Familien ebenso wenig.

»Wir sind hier Georgier, Kasachen, Usbeken, Tadschiken«, sagt Shukhrat Rarimov, der selbst aus dem zentralasiatischen Usbekistan stammt. Der Mann im dunkelgrauen Poloshirt presst beide Handflächen aneinander.

»Aber wir sind hier so eng, so einig. Wir lassen nicht zu, dass uns jemand zu teilen versucht.« Deswegen wollen sie so lange bleiben, bis auch der letzte sein Geld erhalten hat. Vladimer Pilauris, ein Georgier, nickt zustimmend. »Selbst wenn sie mich bezahlen, bleibe ich hier bis zum Ende.« Rarimov legt einen Arm um die Schulter des Kollegen. »Einer für alle, alle für einen. So machen wir es.«

Die Gespräche stagnieren

Noch vor einer Woche hatte es so ausgesehen, als ob »Gräfenhausen 2«, der zweite Streik osteuropäischer Fernfahrer derselben Spedition innerhalb von drei Monaten, sehr schnell vorbei sein könnte. Die ersten Fahrer, die am Dienstag und Mittwoch vergangener Woche in Gräfenhausen halt gemacht und in den Streik getreten waren, hatten sich sehr schnell in individuellen Verhandlungen mit dem Unternehmen geeinigt, ihr Geld erhalten und daraufhin Fahrzeuge und Ladung Firmenvertretern übergeben. Auf einen Verbleib im Unternehmen legte sie keinen Wert mehr - so viel Vertrauen hatten sie nicht.

Doch nach dem ersten knappen Dutzend Fahrer waren immer mehr hinzugekommen. Am Freitagmorgen schätzte die Polizei die Zahl der Fahrzeuge auf 130. Die Fahrer meinen, es könnte mittlerweile fast 200 Streikende geben, auch auf anderen Parkplätzen hätten Fahrer angehalten, dank Handy untereinander vernetzt. Aber Gräfenhausen, das ist eben der Ort des ersten historischen Streiks, für viele der russischsprachigen Fahrer ein Ort, wo sich Kollegen geschlossen zusammenfanden und um ihr Geld und ihre Würde kämpften. Immer wieder ist auch jetzt von den Fahrern zu hören: »Wir haben unsere Arbeit getan und wollen doch nur das, was uns zusteht.«

War die Hoffnung, dass das Speditionsunternehmen aus dem Imageschaden und den Folgen des ersten, knapp sechswöchigen Streiks gelernt hat, verfrüht? Zunächst hatte Anna Weirich vom Beratungsnetzwerk »faire Mobilität« positiv Gesprächsbereitschaft des Unternehmens vermerkt. Aber inzwischen muss sie feststellen: »Seit Montag gab es keine Geldüberweisungen mehr.« Auch die Gespräche stagnieren. Übereinstimmend berichten die Fahrer, dass es derzeit keine Verhandlungen gebe, auch nicht, nachdem sie als Zeichen des guten Willens mehrere Wagen an Vertreter der Spedition übergeben hätten.

Auch Politiker und Gewerkschafter sehen keine Fortschritte seit dem ersten Ausstand. Am Sonntagvormittag informieren sich der rheinland-pfälzische Arbeits- und Sozialminister Alexander Schweitzer (SPD) sowie die SPD-Landtagsabgeordnete und Vizepräsidentin des Hessischen Landtags, Heike Hofmann, vor Ort über die Situation der Fahrer. Auch Matthias Körner vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und Tiny Hobbs von der Gewerkschaft Verdi sind dabei. »Sie alle haben festgestellt, dass sich an der Lage seit dem ersten Streik nichts verändert hat«, sagt Anna-Maria Boulnois vom DGB Hessen-Thüringen.

Keine Hoffnung auf schnelle Lösung

Wenn Kairat Taganov aus Kasachstan lächelt, funkelt sein Mund voll goldenen Metalls. Doch nach mehreren Tagen Streik findet er wenig Grund zum Lachen. Der Unternehmer lebe in Luxus, die Fahrer hausten monatelang in ihren Kabinen, hätten kein Bad, keine Dusche, müssten sich auf engsten Raum beschränken. Und dann gebe es noch nicht mal Geld. »Was für ein Leben ist das? Wir sind doch Menschen!« ereifert sich der vierfache Vater.

Dankbar reagiert er, wie auch seine Kollegen, auf die vielen Zeichen der Solidarität, die sie erfahren - vom hochgereckten Daumen hupender Fernfahrer, wenn sie die Streikenden passieren, bis hin zu Gewerkschaftern, Kirchenvertretern und Privatleuten, die spontan Konserven, Getränke oder Lebensmittel vorbeibringen.

»Uns wurde gesagt, wir sollen nach Polen kommen, dort bekommen wir unser Geld«, berichtet Rarimov. Das käme aber für sie nicht in Frage. »Da bekommen wir doch höchstens einen Fußtritt.« Die Bilder der martialischen Sicherheitstruppe, mit der Spediteur am Karfreitag nach Gräfenhausen gekommen war, um seine Lastwagen wieder zu bekommen, sind auch Rarimov und seinen Kollegen bekannt.

Wie lange wird er also noch dauern, der zweite Streik von Gräfenhausen, der schon jetzt zwar nicht länger, aber mehr als doppelt so groß wie der erste ist? Auf eine schnelle Lösung wagt derzeit kaum einer zu hoffen. Giorgi, ein schmaler, grauhaariger Georgier mit Vollbart und nachdenklichem Blick, ist jetzt schon seit mehr als einer Woche dabei. Er ist sehr ruhig, ganz anders als viele seiner oft impulsiven und temperamentvollen Landsleute. Doch er muss nicht laut sein, um Entschlossenheit zu zeigen: »Wir bleiben. Der Streik dauert. Und wenn es bis zum Tod ist.«

© dpa-infocom, dpa:230730-99-604224/4