Natürlich hat der Schweizer Banker Axel Lehmann nichts zu tun mit der einstigen Bank Lehman Brothers, deren Zusammenbruch 2008 die weltweite Finanzkrise auslöste.
Aber Lehmann ist Verwaltungsratspräsident der Credit Suisse, und mancher Gerüchtekocher nutzt die Namensähnlichkeit angesichts der schwierigen finanziellen Lage der Schweizer Großbank, um Erinnerungen an das Lehman-Debakel heraufzubeschwören.
Droht eine Pleite wie bei Lehman?
Investoren und Kunden der Credit Suisse sind nervös. Kann die Bank sich gesund schrumpfen? Droht eine Pleite wie bei Lehman? »Die Bank gerät aufgrund der Spirale an Gerüchten, Kurskorrekturen und Skandalen zusehends in einen Teufelskreis«, schrieb die »Neue Zürcher Zeitung«. Die Ratingagentur S&P hielt zwar zunächst an ihren Kreditratings für die Credit Suisse fest, stellte aber angesichts der Weltwirtschaftslage und Turbulenzen an den Kapitalmärkten »zunehmende Risiken« für den operativen Turnaround fest.
Den Lehman-Vergleich halten Analysten aber für haltlos: Die Credit Suisse stecke zwar in Schwierigkeiten, »aber es ist kein Lehman-Moment«, schrieb der US-Finanzmarktdienst Seekingalpha.
Analysten glauben nicht, dass die Credit Suisse die Finanzmärkte wie einst Lehman Brothers in einen Abwärtsstrudel reißen könnte. »In der Finanzkrise hat man völlig andere Regulierungen gehabt, was Kapital und Liquidität angeht«, sagt Andreas Venditti, Bankenanalyst der Bank Vontobel, in der Schweizer SRF-Fernsehsendung »10 vor 10«. »Banken allgemein und die Credit Suisse stehen sehr viel besser da als die Institute in der Finanzkrise.« Unter anderem müssen sie heute mehr Eigenkapital als damals haben, und einen Notfallplan für Finanznöte.
Börsenwert eingebrochen
In welchem Schlamassel steckt die Credit Suisse? Der Absturz ist tief: 2017 hatte die Bank mit heute rund 50.000 Mitarbeitern noch einen Börsenwert von 45 Milliarden Franken, heute sind es rund 10 Milliarden Franken. Seit Anfang 2018 ist der Aktienwert um 80 Prozent eingebrochen. Nach dem Milliardenverlust 2021 kamen weitere rote Zahlen. Unter dem Strich stand für das zweite Quartal ein Verlust von 1,6 Milliarden Franken (heute 1,65 Milliarden Euro). Der Aktienkurs fiel Anfang der Woche vorübergehend auf ein Allzeittief.
Die Bank hat vor allem viel von ihrem wertvollsten Kapital verspielt: dem Vertrauen. 2019 empörte die Bank mit einer Spitzelaffäre. Sie ließ einen abtrünnigen Mitarbeiter in Gangstermanier auf der Straße beschatten, weil sie fürchtete, er könne lukrative Kunden mitnehmen. Dann rissen 2021 die Probleme des Finanzkonglomerats Greensill und der Zusammenbruch des US-Hedgefonds Archegos die Bank in die roten Zahlen.
Geschäfte mit korrupten Staatschefs
Es folgten Verurteilungen wegen eines Korruptionsskandals in Mosambik und weil die Bank Geldwäsche einer bulgarischen Mafia nicht unterband sowie wegen Betrugs eines Mitarbeiters auf Bermuda. Gegen manche wehrt die Bank sich noch. Dazu kamen dieses Jahr negative Schlagzeilen über mögliche Konten Krimineller und korrupter Staatschefs bei der Credit Suisse.
Im August holte die Credit Suisse den damaligen Chef der Asset-Management-Sparte, Ulrich Körner, als Krisenmanager an die Spitze und kündigte tiefgreifende Umstrukturierungen an. Der CEO will die Pläne aber erst am 27. Oktober mit der Vorlage der neuen Quartalszahlen präsentieren. Die Bank will sich wohl wieder mehr auf das Schweizer Geschäft und das Vermögensmanagement konzentrieren.
Dass sie sich so viel Zeit lässt, könnte aber Spekulanten auf den Plan rufen, die mit dem Ziel schneller Profite versuchen könnten, neue Kursstürze zu provozieren. »Der Handlungsspielraum sinkt mit jedem Gerücht und jeder Kurskorrektur«, meinte die »NZZ«.
Wie soll Befreiungsschlag aussehen?
Das Problem: Es gibt praktisch keine guten Optionen für einen Befreiungsschlag. Im derzeitigen Umfeld mit hoher Inflation und drohender Rezession Käufer für Teile des Investment-Bankings zu finden, die auch noch einen guten Preis bezahlen, dürfte schwierig werden. Zudem dauert so ein Geschäft wegen der regulatorischen Auflagen lange und dürfte Milliarden an Abfindungen kosten.
Am Freitag versuchte die Bank, sich Luft zu verschaffen. Sie kündigte den Rückkauf von Schuldpapieren an. Das Signal: Sie verfügt erstens über die nötigen Mittel - drei Milliarden Franken - und hält die Kurse der Papiere für zu niedrig.
Das »Handelsblatt« erinnert das Chaos bei der Credit Suisse eher an die Probleme der Deutschen Bank 2016 als an Lehman Brothers. Lehman sei gescheitert, weil die gesamte Bankenbranche nach der geplatzten Immobilienblase in den USA damals in die Bredouille geriet. »Credit Suisse kämpft dagegen mit bewältigbaren hausgemachten Schwierigkeiten, die erst einmal nur das Institut selbst und nicht die ganze Branche betreffen.«
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