Die Energieversorgung Deutschlands soll als Reaktion auf den Krieg in der Ukraine unabhängiger von russischem Erdgas werden - auch mit eigenen Terminals für Flüssigerdgas (LNG).
Bundeskanzler Olaf Scholz sagte am Sonntag bei einer Sondersitzung des Bundestags, die Bundesregierung habe die Entscheidung getroffen, zwei LNG-Aufnahmestellen in Brunsbüttel und Wilhelmshaven an der Nordsee schnell zu bauen. »Wir werden umsteuern, um unsere Importabhängigkeit von einzelnen Energielieferanten zu überwinden.«
Eine Folge des Kurswechsel könnten allerdings höhere Energiepreise sein, weil LNG teurer als russisches Erdgas ist. Die Koalition hatte wegen der Inflation bereits ein Entlastungspaket beschlossen. Scholz kündigte mögliche weitere Maßnahmen an. Die Bundesregierung behalte die hohen Energiepreise im Blick, versicherte er in Berlin.
Wirtschaftsminister Robert Habeck sagte, Deutschland sei nicht achtsam genug gewesen, in welche Abhängigkeit man gerade durch die hohen Öl-, Gas- und Kohleimporte aus Russland geraten sei. Er will nun einen »Ausstiegsplan« aus fossilen Energien vorlegen. Die Versorgung sei zu einer Frage der nationalen Sicherheit geworden. Für einen schnelleren Ausbau des Ökostromangebots in Deutschland soll das Kabinett nach den Plänen Habecks bis Ostern umfassende Maßnahmen vorlegen. Derzeit gibt es viele Hemmnisse.
Habeck hatte bereits angekündigt, den Bau eines eigenen deutschen LNG-Terminals vorantreiben zu wollen. In einem Papier des Ministeriums hieß es, es sei eine finanzielle staatliche Unterstützung zu prüfen. Die Anlage müsse so gebaut werden, dass sie »wasserstoff-ready« sei. Das bedeutet, dass sie künftig auch genutzt werden kann, um klimafreundlichen Wasserstoff umzuschlagen. Dieser ist vor allem ein wichtiges Speichermedium in der Energiewende, muss aber zunächst selbst mit viel Strom aus Verbindungen gelöst werden.
Zwar gibt es in der EU viele Terminals für LNG, das etwa aus den USA oder Katar kommt - aber bisher kein eigenes in Deutschland. Planungen gibt es seit längerem. Die Gasbranche beklagte aber unzureichende Rahmenbedingungen für Investitionen. Als Standorte für ein LNG-Terminal waren Brunsbüttel, Wilhelmshaven sowie Stade westlich von Hamburg im Gespräch.
Warum Scholz Stade nun nicht mehr erwähnte, ist offen. Auch die Festlegung auf Wilhelmshaven mag für manchen überraschend kommen, denn der Düsseldorfer Energiekonzern Uniper hatte frühere Pläne für die Stadt mit Tiefwasserhafen am Jadebusen zurückgestellt. Stattdessen sollte zuletzt die Wasserstoff-Nutzung aus Ammoniak im Vordergrund stehen - das Element soll dann unter anderem für die Produktion CO2-armen Stahls weitergeleitet werden. Nach Informationen des »Handelsblatts« bat der Bund das Unternehmen, sein Vorhaben für eine LNG-Aufnahme in Wilhelmshaven zu reaktivieren.
LNG wird unter Druck tiefgekühlt, flüssig per Schiff transportiert, angelandet, erwärmt, »regasifiziert« und dann in die Netze eingegeben. Umweltverbände sind gegen ein deutsches LNG-Terminal. »Klimaschädliches Fracking-Gas ist keine Antwort auf eine sichere Energieversorgung, sondern Teil der fossilen Sackgasse«, hatte Greenpeace-Energieexperte Gerald Neubauer kritisiert. Auch die Klimaschutzbewegung Fridays for Future gab sich am Sonntag kritisch.
Niedersachsens Energieminister Olaf Lies sagte hingegen, die Landesregierung werde alles daran setzen, die Planungen gemeinsam mit der Stadt Wilhelmshaven und dem Bund voranzutreiben. »Es gibt keinen Zweifel mehr daran, dass der Import aus Russland nicht mehr Grundlage unserer Versorgungssicherheit sein kann. (...) Die Alternative ist, am Tropf russischer Lieferungen hängen zu bleiben.« Er halte es für realistisch, dass 2024 erste LNG-Lieferungen ankommen könnten. Lies deutete an, man werde mehr Tempo in die Pläne bringen.
Scholz sagte außerdem, es solle eine Kohle- und Gasreserve in Deutschland aufgebaut werden. Dies hatte Habeck bereits angekündigt. Bisher gibt es in Deutschland eine staatliche Ölreserve. Der Kanzler sagte weiter, die Bundesregierung habe beschlossen, die Speichermenge an Erdgas über sogenannte Long Term Options um zwei Milliarden Kubikmeter zu erhöhen. Zudem solle - rückgekoppelt mit der EU - zusätzliches Erdgas auf den Weltmärkten erworben werden.
Die Gasspeicher waren in diesem Winter vergleichsweise gering gefüllt - in Deutschland waren die Stände zuletzt bei knapp 30 Prozent. Ein Grund war, dass Russlands Staatskonzern Gazprom seine Speicher in Deutschland nicht mehr auffüllt.
Die Energiewirtschaft geht davon aus, dass sie in diesem Winter ihre Gaslieferverpflichtungen erfüllen kann - unabhängig von Russland, wie es beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft hieß. In Europa gebe es zudem Sicherungsmechanismen für Engpasssituationen.
Im Moment beziehe Europa auch verstärkt Flüssigerdgas über Großtanker aus den USA und Katar. Insbesondere dort und in Australien seien Produzenten in der Lage, ihre Angebotsmenge kurzfristig auszuweiten. Es bestehe damit die Möglichkeit, zusätzliche Flüssigerdgas-Mengen zu beziehen - allerdings bei voraussichtlich hohen Preisen. »Als Engpass könnte sich aber die weltweite Nachfrage sowie die Verfügbarkeit von Terminals und Transportleitungen herausstellen.«
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