Bundeskanzler Olaf Scholz hat mit Blick auf die Bauernproteste zu »Maß und Mitte« aufgerufen und vor einem »toxischen Gemisch« gewarnt. Der SPD-Politiker sagte in einer am Samstag verbreiteten Video-Botschaft »Kanzler kompakt«: »Wenn an sich legitime Proteste umkippen - und zwar pauschal in Wut oder Missachtung für demokratische Prozesse und Institutionen, dann verlieren wir alle. Profitieren werden dann nur diejenigen, die unsere Demokratie verachten.«
Aufrufe zu Gewalt und persönliche Bedrohungen hätten in der Demokratie nichts verloren, sagte Scholz: »Galgen sind keine Argumente. Politische Gegner sind keine 'Vollpfosten'«, so Scholz. »Gerade in so aufreibenden und aufwühlenden Zeiten wie heute gilt es: Maß und Mitte zu halten - das sollte allen Demokratinnen und Demokraten ein Anliegen sein.«
Großdemonstration am Montag in Berlin
Zum Höhepunkt der Aktionswoche der Bauern werden am Montag Tausende Landwirte in Berlin erwartet, zu einer Großdemonstration mit Kundgebung. Die Proteste der Landwirte richten sich gegen geplante Subventionskürzungen der Bundesregierung. Demnach soll die Steuerbegünstigung für Agrardiesel schrittweise abgeschafft werden. Auf eine ursprünglich geplante Abschaffung der Kfz-Steuerbefreiung für die Landwirtschaft will die Regierung verzichten. Der Deutsche Bauernverband fordert, die Kürzungen komplett zurückzunehmen.
Der Bundestag muss dem Bundeshaushalt 2024 sowie den geplanten Kürzungen beim Agrardiesel noch zustimmen. Am Montag haben die Vorsitzenden der Ampel-Fraktionen SPD, Grüne und FDP die Spitzen der Landwirtschaftsverbände zu einem Gespräch eingeladen.
Bauernpräsident Joachim Rukwied sagte der Deutschen Presse-Agentur: »Wir gehen davon aus, dass sie sich der Brisanz des Themas bewusst sind und wir ernsthafte Vorschläge dazu erhalten werden.« Beim Gespräch könne es zunächst nur um den Agrardiesel gehen. Man setze darauf, dass die Fraktionsvorsitzenden dazu eine Lösung vorlegen.
Kanzler verteidigt Kompromiss
Scholz sagte mit Blick auf die teilweise Rücknahme von Kürzungen, die Regierung habe sich die Argumente der Landwirte »zu Herzen« genommen. »Außerdem geht es darum, was wir noch tun können, damit die Landwirtschaft eine gute Zukunft hat. Auch darüber sprechen wir miteinander. Auch dazu suchen wir gemeinsam Lösungen. Es geht ja auch um faire Preise, um die Macht des Lebensmittelhandels, um Bodenspekulationen und um die Folgen des Klimawandels«, so der Kanzler.
Er fügte hinzu: »Wenn jede Subvention auf ewig bestehen bleibt, wenn wir alle zu 100 Prozent auf unserem Standpunkt beharren, wenn wir alles so machen wie immer – dann kommen wir auch nicht voran.«
Der Kanzler sagte weiter: »Geht es bei all den aktuellen Protesten wirklich allein um den Agrar-Diesel oder den Abbau von Subventionen? Ich denke, Krisen und Konflikte sorgen insgesamt für Verunsicherung. Viele treibt die Sorge um: Was kommt als Nächstes – was bringt die Zukunft für mich? All das sorgt dafür, dass einige das auch laut zum Ausdruck bringen.«
Streit gehöre zu einer Demokratie, so Scholz - aber auch der Kompromiss. Deutschland stehe vor einer »Bewährungsprobe«. Wut werde gezielt geschürt. »Mit gigantischen Reichweiten machen Extremisten auch über die sozialen Medien jeden Kompromiss verächtlich, vergiften jede demokratische Debatte. Das ist ein toxisches Gemisch, das uns Sorgen bereiten muss, das auch mich sehr beschäftigt.«
Er sei Rukwied dankbar, dass er sich klar distanziert habe »von Extremisten und manchen Trittbrettfahrern, die zum 'Aufstand' blasen und vom 'Umsturz des Systems' schwadronieren. Das ist nicht nur Unsinn. Das ist gefährlich.«
Steinmeier ruft Bundesregierung zum Gespräch mit Bauern auf
»Ich finde es in der augenblicklichen Situation dringend notwendig, dass persönliche Gespräche stattfinden«, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier der »Süddeutschen Zeitung«. Proteste seien legitim. »Aber Sprachlosigkeit zwischen der Bundesregierung und den Bauern schadet allen Beteiligten.«
Steinmeier riet der Politik, öfter die Hauptstadt zu verlassen und raus ins Land zu gehen, so wie er dies tue, wenn er seinen Amtssitz immer wieder für einige Tage in kleinere Städte verlege. Er wolle den Menschen dort das Gefühl nehmen, dass sich niemand für sie interessiere. »Manchmal hilft es schon, hinzugehen und zu sagen, wir wollen Euch hören. Insofern halte ich mehr Präsenz im ländlichen Raum tatsächlich für dringend erforderlich.«
Lindner verweist auf hohe Subventionen für Landwirtschaft
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sagte der »Neuen Osnabrücker Zeitung«, der Agrarsektor erhalte jährlich Subventionen von gut neun Milliarden Euro aus Brüssel und Berlin. »Es fallen 2025 jetzt weniger als dreihundert Millionen weg. Wir reden also von rund drei Prozent.« Das Parlament habe beim Haushalt das letzte Wort. »Aber für die Normalisierung der Staatsfinanzen werden alle ihren Beitrag leisten müssen.« Mit dem Abbau von Subventionen würden keine Haushaltslöcher geschlossen, sondern neue Entlastungen finanziert - nämlich die Senkung der Stromsteuer für das produzierende Gewerbe.
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