Kunden, die an das Pfandleih-Unternehmen Pfando nicht nur ihr Auto, sondern auch noch viel Geld verloren haben, können auf Schadenersatz hoffen. Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied in einem Musterfall, dass der betroffene Kunde durch das Pfando-Geschäftsmodell »cash & drive« übervorteilt wurde. Es liege ein »wucherähnliches Rechtsgeschäft« vor. Die Karlsruher Richterinnen und Richter sprachen dem Mann in letzter Instanz Schadenersatz zu. In drei anderen Fällen muss das zuständige Oberlandesgericht nun prüfen, ob ebenfalls Ansprüche bestehen.
Das Berliner Unternehmen Pfando, das bundesweit mehr als 25 Filialen unterhält, bezeichnet sich selbst als die bessere »Alternative zum Autopfandhaus« und Marktführer auf seinem Gebiet. »Bei Pfando erhalten Sie in 60 Minuten Bargeld für Ihr KFZ und können wie gewohnt weiterfahren!«, heißt es auf der Internetseite.
Umgesetzt wird das mit einer Kombination aus einem Kauf- und einem Mietvertrag. In allen vier Fällen hatten die Kunden ihr Auto für die benötigte Summe faktisch an Pfando verkauft - immer unter Wert. Gleichzeitig mieteten sie das Auto für sechs Monate zurück.
Pfando behält Auto nach fehlender Monatsmiete ein
Der Mann, dem Pfando nun Schadenersatz zahlen muss, hatte für seinen BMW, der knapp 14.000 Euro wert war, beispielsweise 5000 Euro bekommen. Für 495 Euro im Monat mietete er ihn zurück. Da sein Mietvertrag über das halbe Jahr hinaus verlängert wurde, zahlte er auf diese Weise an Pfando weitere 4455 Euro - bis er eine Monatsmiete schuldig blieb. Damit war das Auto weg. Denn bei Zahlungsverzug behält sich Pfando die sofortige Kündigung des Mietvertrags vor.
Eine Auslösung für den Fall, dass der Kunde wieder zu Geld kommen sollte, ist anders als im klassischen Pfandleihhaus ohnehin nicht vorgesehen. Stattdessen war in den älteren Verträgen vereinbart, dass das Auto am Ende der Mietzeit immer öffentlich versteigert werden sollte. Daran durfte sich der ursprüngliche Eigentümer beteiligen. Ein möglicher Mehrerlös sollte aber nur anderen Käufern zufließen.
Neue Verträge, neues Vorgehen
In den neuen Verträgen ist die Versteigerung nach Angaben einer von Pfando beauftragten Anwaltskanzlei nicht mehr vorgesehen. In einem Muster-Mietvertrag, der der Deutschen Presse-Agentur zugesandt wurde, heißt es aktuell: »Der Mieter verliert mit der Vertragsbeendigung sein Besitzrecht an dem Fahrzeug.« Er sei dann »verpflichtet, das Fahrzeug nebst Zulassungsbescheinigung Teil I und Fahrzeugschlüssel sofort, spätestens binnen einer Frist von 24 Stunden, an den Vermieter zurückzugeben«, also an Pfando.
Hintergrund dürfte sein, dass die Gerichte bisher in erster Linie geprüft hatten, ob ein Verstoß gegen die Gewerbeordnung vorliegt, nämlich ein verbotenes Rückkaufsgeschäft. Das ist laut BGH nicht der Fall. Dafür sehen die obersten Zivilrichter ein ganz anderes Problem: »Angesichts der den Kunden angebotenen Konditionen« sei eine Nichtigkeit der Verträge wegen Wuchers nicht ausgeschlossen, sagte die Vorsitzende Rhona Fetzer bei der Urteilsverkündung.
Senat vermutet »verwerfliche Gesinnung« der Beklagten
Bei dem BMW-Fahrer war für den Senat der Fall eindeutig: Angesichts des »besonders groben Missverhältnisses« zwischen Kaufpreis und Wert des Autos werde »eine verwerfliche Gesinnung der Beklagten vermutet«. Für eine »Übervorteilung des Klägers« sprächen auch noch andere Vereinbarungen. So musste der Mann in der Mietzeit zusätzlich sämtliche Kosten für Versicherung, Steuern und Reparaturen tragen.
Pfando muss dem Mann nun 16.000 Euro Schadenersatz zahlen. So viel würde es kosten, ein Auto wie das versteigerte wiederzubeschaffen. Außerdem bekommt er die Miete zurück - alles abzüglich der 5000 Euro, die er bei Pfando bar auf die Hand bekommen hatte.
Ob Wucher vorliegt, muss vor Gericht für jeden Kunden einzeln geprüft werden. Der Erfurter Rechtsanwalt Holger Schilling, der eine dreistellige Zahl von Fällen betreut, ist aber sehr zuversichtlich, dass auch vielen anderen Betroffenen Schadenersatz zusteht. »Auch für die ganz neuen Fälle, die wir vorliegen haben, würde ich nach dem, was ich heute gehört habe, überall den Wucher bejahen«, sagte er in Karlsruhe. Ein vergleichbares Missverhältnis zur Leistung liege in jedem seiner Fälle vor. (Az. VIII ZR 221/21 u.a.)
© dpa-infocom, dpa:221116-99-546333/2