Die ersten regionalen Tarifgespräche für die Metall- und Elektroindustrie mit bundesweit fast vier Millionen Beschäftigten sind noch ohne greifbares Ergebnis geblieben. Gewerkschaft und Arbeitgeber vertagten ihre Verhandlungen nach dem Auftakt im Bezirk Niedersachsen/Sachsen-Anhalt auf den 11. Oktober. Vertreter der IG Metall und des Verbands Niedersachsen-Metall hatten die Tarifrunde am Montag in Hannover gestartet, konnten sich in gut eineinhalb Stunden Austausch bisher allerdings nicht auf konkrete Punkte einigen.
Der Bezirksleiter der Gewerkschaft, Thorsten Gröger, forderte sein Gegenüber Torsten Muscharski auf, zum nächsten Treffen ein Angebot vorzulegen: »Wir erwarten ein zielführendes Auftreten, das der aktuellen Situation Rechnung trägt.« Der Tarifkonflikt könne sich sonst weiter zuspitzen. Weil es nach Darstellung Grögers aufseiten der Arbeitgeber Bestrebungen in Richtung einer realen Null- oder gar Minusrunde gibt, sprach er von einem »katastrophalen Fehlstart«.
Die Arbeitgeber machten klar, dass es aus ihrer Sicht kaum Spielraum für Lohnzuwächse gibt. »Volle Auftragsbücher heißen nicht automatisch auch gute Auslastung und auch nicht Gewinne«, erklärte Muscharski. Niedersachsen-Metall-Chef Volker Schmidt verlangte von der IG Metall, sich auf eine sachliche Debatte über das Leistbare einzulassen.
Einmalzahlungen lehnt die Gewerkschaft ab
Die Gewerkschaft will acht Prozent mehr Geld und diese Steigerung in einem möglichst über zwölf Monate laufenden Tarifvertrag verankern. Einmalzahlungen lehnt sie ab. Diese wären angesichts der rasanten Inflation bei Energie und Lebensmitteln wohl »schnell aufgebraucht«, glaubt Gröger. »Die Preise aber bleiben hoch.« Nötig sei vielmehr ein länger angelegtes Lohnplus, um die Kaufkraft zu stabilisieren und die Verbraucher zu entlasten, argumentierte der Gewerkschafter.
Die Teuerung treffe zunehmend auch Bezieher mittlerer Einkommen, während der Konsum die zentrale Stütze der Konjunktur sei. »Uns ist wichtig, dass wir nachhaltige Entgeltsteigerungen haben«, sagte Gröger. »Acht Prozent - das ist machbar, und das passt in die Zeit.«
Schmidt sieht das völlig anders. Die Lohnforderung sei »aus der Zeit gefallen«, hielt er dagegen. Er könne verstehen, dass ein Ausgleich für die Inflation verlangt werde. »Aber das würde in dieser Höhe für viele Unternehmen das Aus bedeuten. Wir reden ja von Rettungsschirmen und Insolvenzwellen. Jetzt ist vor allem Pragmatismus gefragt.«
Weitere Unterstützung durch den Staat gefordert
Es treffe überdies nicht zu, dass zahlreiche Betriebe die enorm gestiegenen Beschaffungskosten für Strom, Gas und Rohstoffe einfach an die Kunden weitergeben könnten. »Das geht voll in die Margen und Investitionsmöglichkeiten«, meinte Schmidt. Die IG Metall wies darauf hin, Unternehmen hätte meist ganz andere Möglichkeiten als Arbeitnehmer, auf Energiekrise und Teuerung zu reagieren. Die Erzeugerpreise lägen in der Industrie auch teils weit über der allgemeinen Inflationsrate.
Überwiegend einig sind sich beide Seiten in der Feststellung, dass Tarifabschlüsse allein die brenzlige Lage nicht entschärfen können. Auch der Staat müsse nach dem dritten Entlastungspaket mit weiterer Unterstützung nachlegen. »Wir brauchen unbedingt einen verbindlichen Energiepreisdeckel für normale Verbräuche«, sagte Gröger. Dieser könne dann auch für Firmen gelten und diese mit entlasten.
Am Verhandlungsort versammelten sich viele Gewerkschaftsmitglieder und untermauerten ihre Erwartungen mit Fahnen, Transparenten und Trillerpfeifen. Schmidt warnte vor einer »Kernschmelze« in der Metall- und Elektrobranche: »Ich mache mir so große Sorgen um die Zukunft unserer Industrie wie noch nie. Wir stehen jetzt wirklich gemeinsam in der Verantwortung.« Wichtigstes Ziel müsse es sein, Arbeitsplätze zu erhalten.
Die weiteren Verhandlungen dürften kompliziert und möglicherweise langwierig werden. Hier und da sind in der Branche Überlegungen zu hören, ähnlich wie für die Chemieindustrie im Frühjahr vielleicht zunächst einen Teilabschluss anzupeilen. So könnte man Zeit gewinnen, um im oder nach dem Winter ein vollständiges Tarifpaket zu schnüren.
Die Entgelt-Tarifverträge laufen in den Bezirken zum 30. September aus. Warnstreiks wären ab dem 28. Oktober möglich. In Niedersachsen und Sachsen-Anhalt selbst geht es um rund 120.000 Beschäftigte. In der Regel wird im Laufe der Verhandlungen ein Pilotbezirk vereinbart, dessen Abschluss dann die übrigen Regionen übernehmen.
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