Geht es nach Peter Kurth, so könnte man die Gaskrise zumindest zu einem kleinen Teil direkt vor der eigenen Haustüre lösen: mit der Biotonne, die da hoffentlich steht.
Dass sie in einigen Städten Deutschlands aber trotz eines seit langem geltenden Gesetzes nicht vorhanden ist, ärgert den Präsidenten des Entsorgungswirtschaftsverbandes BDE. »Seit 2015 ist das Pflicht, aber vielerorts wird es einfach nicht gemacht.« Dabei wäre das gerade jetzt so wichtig, sagt Kurth. Der deutsche Gasbedarf werde derzeit zu einem Prozent mit Biogas gedeckt. »Mit gut genutzten Biotonnen überall in Deutschland könnten wir auf zwei Prozent kommen.«
»Bioabfall landet noch immer oft im Restmüll«
Mit Blick auf den Winter, wenn ein Gasmangel zu Liefereinschränkungen in der Industrie führen könnte und dann Arbeitsplätze in Gefahr geraten würden, erscheint Kurths Vorschlag sinnvoll und überfällig. Ein Prozentpunkt mehr - "das wäre ein weiterer Schritt, um das Problem zu meistern und unabhängiger zu werden von Energieimporten", sagt er. Umweltschützer stimmen zu. »Bioabfall landet noch immer oft im Restmüll«, sagt Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilfe. 39 Prozent des Restmülls hierzulande seien Bioabfälle. Branchenvertreter Kurth und Umweltschützer Fischer sind dafür, dass die Länder den Kommunen Druck machen, damit mehr Biotonnen aufgestellt werden.
Einfach ist die Sache allerdings nicht. Denn um die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen, sind nicht unbedingt braune Tonnen nötig. Es reichen auch Sammelplätze, wo die Bürger den organischen Abfall hinbringen können. Damit ist den Anforderungen des Kreislaufwirtschaftsgesetzes Genüge getan. Beispiele sind Trier (Rheinland-Pfalz) und Regensburg (Bayern), wo es Bringsysteme gibt. Saalfeld-Rudolstadt (Thüringen) plant eine Einführung Anfang 2023.
An den Bringsystemen gibt es scharfe Kritik. Denn die Lust, eine gärende Masse quer durch die Stadt zu fahren, dürfte gering sein. Das sei nicht verbraucherfreundlich und der Aufwand sei zu hoch, moniert Andreas Habel vom mittelständisch geprägten Abfallwirtschaftsverband bvse. Das Gros des Bioabfalls lande in der Restmülltonne und wertvolle Sekundärrohstoffe endeten in der Müllverbrennungsanlage. »Mit Kreislaufwirtschaft hat dieses Vorgehen nichts zu tun.«
Kommunalorganisation weist auf Nachteil hin
Der Deutsche Landkreistag hält eine Steigerung der Bioabfallmengen für »im Grundsatz wünschenswert«. Die meisten Landkreise hätten die Behältnisse. Wo dies nicht der Fall sei, liege das vor allem daran, dass die Haushalte dort ihre Bioabfälle überwiegend selbst in den Gärten kompostierten. Die Kommunalorganisation weist auf einen Nachteil hin: Die Aufstellung von braunen Tonnen müsste über Abfallgebühren refinanziert werden, was auf Unverständnis stoßen würde und wegen relativ geringer Mengen unwirtschaftlich wäre.
Einige Landkreise gehen derzeit noch andere Wege. Der im brandenburgischen Teltow-Fläming tätige Südbrandenburgische Abfallzweckverband setzt auf ein System, bei dem Küchenabfälle im Restmüll bleiben und mit ihm zusammen getrocknet, zerkleinert und sortiert werden. »Es entsteht ein hochwertiger Ersatzbrennstoff, den wir in einem Braunkohlekraftwerk zur Mitverbrennung einsetzen«, sagt Verbandsvorsteher Holger Riesner.
»Dank dieses Ersatzbrennstoffs braucht das Kraftwerk weniger Kohle, es entsteht also weniger CO2.« In puncto CO2-Einsparung diene das Verfahren dem Schutz von Mensch und Umwelt im Sinne des Kreislaufwirtschaftsgesetzes ähnlich gut wie eine Vergärungsanlage, sagt Riesner. Er weist zudem darauf hin, dass auch das Biotonnen-System Schwächen habe. So lande der ökologische Abfall in Deutschland häufig in einfachen Kompostieranlagen, wo die Gase ungenutzt in die Umwelt entwichen. Nötig seien effiziente Vergärungsanlagen, von denen es noch viel zu wenige gebe.
Auch in Schweinfurt (Bayern) gibt es keine Biotonnen. Eine Stadtsprecherin sagt, man habe eine Untersuchung durchgeführt, der zufolge die Sammlung von Gartenabfällen (Grüngut) und die »thermische Verwertung« - also Verbrennung - von Restmüll inklusive Bioabfall sich günstiger auf den Treibhauseffekt und andere Probleme auswirkten als der Einsatz einer Biotonne. Der hohe Kompostanteil in Privatgärten sei zudem gut für den Boden.
In Bremerhaven sucht man ebenfalls vergeblich nach Biotonnen. Ein Sprecher begründet den Verzicht auf diese Behältnisse unter anderem damit, dass es in näherer Umgebung keine Abfallaufbereitungsanlage gebe. Ein Auftrag zur Verwertung des Bremerhavener Biomülls müsste europaweit ausgeschrieben werden. Der Gewinner der Ausschreibung müsste selbst dann genommen werden, wenn er sich im weit entfernten Osnabrücker Umland befände, sagt der Sprecher kopfschüttelnd. In der Stadt gebe es aber zwei Annahmestellen für Grünschnitt.
Ebenfalls keine Biotonnen gibt es im bayerischen Altötting. Ein Sprecher des Landkreises weist darauf hin, dass in Biomülltonnen »nachweislich viel Plastik landet, welches nach der Vergärung in Biogasanlagen in Form von Mikroplastik auf Feldern und somit in der Nahrungskette landet«. Im Restmüll befänden sich in dem Landkreis jährlich pro Person nur acht Kilo an Küchenabfällen. »Diese Restmengen mit einer eigenen Biotonne erfassen zu wollen, die durch dieselbetriebene LKW 14-tägig geleert werden müssen, macht aus unserer Sicht weder ökologisch noch ökonomisch Sinn.« Würde das doch geschehen, würden sich die Müllgebühren verdoppeln.
Mikroplastik-Befürchtungen ein »Scheinargument«
Die Mikroplastik-Befürchtungen hält der Biotonnen-Verfechter Kurth vom Branchenverband BDE für ein »Scheinargument«. Zum einen werde den Bürgerinnen und Bürgerinnen damit unterstellt, nicht zu einer vernünftigen Abfalltrennung in der Lage zu sein. Und zum anderen gehöre Abfallberatung zu den Aufgaben der Landkreise und Kommunen.
Die Wortmeldungen aus den Städten und Landkreisen machen deutlich, dass es dort wohl auch künftig keine braune Tonnen vor der Haustür geben wird. Den Wunsch der Entsorgungsbranche nach mehr Gas aus Biomüll dürfte nur schwer erfüllbar sein.
© dpa-infocom, dpa:220807-99-302342/2