Nach jahrelangen Diskussionen startet ein neuer Anlauf für eine staatliche Tierhaltungskennzeichnung für Fleisch und Wurst.
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) will heute Eckpunkte eines Systems vorstellen, das Supermarktkunden mehr Transparenz über die Bedingungen in den Ställen bringen soll. Die Ampel-Koalition hat die verpflichtende Kennzeichnung vereinbart, um einen Wandel zu mehr Tierschutz voranzubringen. Organisiert werden soll zugleich eine gesicherte Finanzierung, damit Bauern nicht auf Milliardenkosten für Investitionen und Mehraufwand sitzen bleiben.
Die neue Kennzeichnung
Özdemir will die gesetzlichen Regelungen noch in diesem Jahr auf den Weg bringen. Konkret soll ein System kommen, das mehrere Haltungsformen unterscheidet und anzeigt - die Spanne reicht von den gesetzlichen Mindestanforderungen über mehr Platz und Beschäftigungsmaterial im Stall bis zu Auslauf ins Freie und bio. Starten soll die Kennzeichnung im ersten Schritt mit Schweinefleisch.
Der Platzhirsch
Viele Kunden kennen auf Packungen schon so ähnliche Logos, die aber nicht staatlich geregelt sind. Seit 2019 gibt es eine Kennzeichnung der Supermarktketten mit dem Aufdruck »Haltungsform«, die Fleisch von Schweinen, Geflügel und Rindern umfasst. Sie hat vier Stufen: vom gesetzlichen Standard in Stufe 1 namens »Stallhaltung«, über Stufe 2 »Stallhaltung plus« und Stufe 3 »Außenklima« bis Stufe 4 »Premium« mit Auslauf im Freien, zu der auch Biofleisch gehört. Diese Kennzeichnung dürfte auch noch einige Zeit parallel zur staatlichen bestehen bleiben, zumal sie bereits für mehrere Tierarten existiert.
Die Vorgeschichte
Wie das staatliche Logo genau aussehen soll, ist noch offen. Klar ist, dass es nun um einen anderen Ansatz geht als zuletzt lange diskutiert: Nämlich eine verpflichtende Kennzeichnung für alle Haltungsformen - statt eines freiwilligen Siegels nur für bessere Haltungsformen. Zuletzt wollte Özdemirs Vorgängerin Julia Klöckner (CDU) so ein Tierwohl-Logo mit Anforderungen oberhalb des Gesetzesstandards in die Regale bringen. Doch die Pläne scheiterten.
Die Gestaltung
An der geplanten Kennzeichnung sollen die Kunden verlässlich sehen können, in welcher Haltungsform die Tiere einmal lebten. Diese Transparenz soll auch eine bewusstere Kaufentscheidung ermöglichen. So ähnlich läuft es schon bei Eiern, die einen Zahlencode zur Haltungsform aufgedruckt bekommen - von 0 für bio bis 3 für Käfighaltung. Die Fleischkennzeichnung des Handels hat auf den Etiketten die Zahlen 1 bis 4 für die vier verschiedenen Stufen und dazu die jeweiligen Farben rot, hellblau, orange und grün.
Die Finanzierung
Zur Kennzeichnung soll eine gesicherte Finanzierung kommen, damit Bauern auf Investitionen in Stallumbauten und höheren laufenden Kosten nicht alleine sitzen bleiben. Im Gespräch sind nach Empfehlungen einer Expertenkommission ein höherer Mehrwertsteuersatz oder eine »Tierwohlabgabe« auf tierische Produkte. Denkbar wäre etwa ein Aufschlag von 40 Cent pro Kilogramm Fleisch. In der Koalition knirschte es aber zuletzt. Die FDP machte klar, dass sie angesichts der gerade hohen Inflation Preisaufschläge für Verbraucher ablehnt.
Der Koalitionspartner
Aus Sicht des agrarpolitischen Sprechers der FDP-Bundestagsfraktion, Gero Hocker, sind die schon bekannten Vorschläge »nur als erste Arbeitsgrundlage zu verstehen«. Um dem Verbraucher wirklich mehr Transparenz und eine klare Hilfestellung zu geben, mehr Tierwohl durch sein Einkaufsverhalten zu fördern, müsse sich ein Haltungskennzeichen an den schon im Laden zu findenden Labeln orientieren. »Mit dem dogmatischen Beharren auf einer extra Stufe für Bioprodukte, bei denen die Haltung oftmals schlechter als in konventionellen Ställen ist, droht das Landwirtschaftsministerium durch Klientelpolitik das Projekt zum Scheitern zu bringen.«
Die Kritiker
Umwelt- und Verbraucherschützer monieren zu wenig Tierschutz. »Die Kriterien für das neue gesetzliche Tierhaltungskennzeichen reichen nicht aus, um das Tierwohl grundsätzlich zu verbessern«, sagte Greenpeace-Experte Martin Hofstetter der Funke Mediengruppe. Die neue Kennzeichnung definiere nur Haltungsformen für Schweine in Ställen, aus denen Frischfleisch gewonnen und das im Lebensmittelhandel verkauft werde. Auch die Organisation Foodwatch fordert strengere Kriterien: »Zahlreiche Studien zeigen, dass in allen Haltungsformen - vom engen Kastenstand bis zum Biobetrieb - viele Tiere unter Krankheiten und Verletzungen leiden«, sagte Geschäftsführer Chris Methmann. (dpa)