Europa steht beim erhofften Wiederaufbau einer Solarindustrie nach Einschätzung der Branche vor nahezu unüberwindlichen Hürden. Der Kosten- und Größenvorteil insbesondere der chinesischen Hersteller ist mittlerweile so groß, dass der »Green Deal« der EU demnach nur mit konzertierter politischer und finanzieller Unterstützung gelingen kann.
Darüber hinaus locken die USA die verbliebenen europäischen Firmen mit immensen Subventionen über den Atlantik, wie Industrievertreter berichten. »Wenn wir in Europa mithalten wollen, brauchen wir jetzt einen energie- und industriepolitischen Doppelwumms«, argumentiert Carsten Körnig, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Solarwirtschaft.
»Bei der Herstellung von Solarzellen und Solarmodulen haben die Asiaten in den vergangenen Jahren einen Skalierungsvorteil erlangt«, sagt Körnig. »Auch die USA wollen mit dem Inflation Reduction Act Solar-Gigafabs ins eigene Land holen.« Skalierung bedeutet, dass ein Unternehmen umso günstiger produzieren kann, je mehr es herstellt: Eine große Fabrik produziert in aller Regel günstiger als eine kleine.
Derzeit beläuft sich die jährliche Produktionskapazität der europäischen Solarindustrie auf Module mit einer Gesamtleistung von gut 8 Gigawatt. Das Fraunhofer-Institut für solare Energiesysteme schätzt den europäischen Anteil an der weltweiten Produktion auf ein Prozent und den chinesischen auf 75 Prozent.
Ein Konzern wächst schneller als europäische Branche
Ziel der EU im Rahmen ihres Green Deals ist es, dass die heimische Solarindustrie 2030 wieder Module mit 30 Gigawatt Leistung herstellt. Doch nach einer Analyse der Unternehmensberatung PWC produziert allein der größte chinesische Hersteller Jinko derzeit schon 45 Gigawatt. Laut Jinko-Webseite war die Kapazität Ende 2022 mit 70 Gigawatt bereits wesentlich höher. Ende dieses Jahres sollen es 90 Gigawatt sein. Der Konzern hat Vorsorge für das erhoffte rasante Wachstum in den kommenden Jahren getroffen und erhöht seine Kapazität offensichtlich schneller als die gesamte europäische Industrie.
Sogar wenn ansonsten Kosten etwa für Personal, Energie oder Vorprodukte vergleichbar wären, können Unternehmen wie Jinko allein wegen ihres Größenvorteils günstiger produzieren als kleinere Konkurrenten. »Seit 2011 hat China über 50 Milliarden Dollar in neue Photovoltaik-Lieferkapazitäten investiert - zehnmal mehr als Europa - und 300.000 Produktionsjobs in der solaren Wertschöpfungskette geschaffen«, heißt es in einem Bericht der Internationalen Energie-Agentur vom November.
Die Produktionskosten von Solarmodulen werden in Cent pro Watt der elektrischen Leistung angegeben. Die chinesische Solarindustrie liegt nach Angaben aus der Branche bei geschätzt 17 bis 18 US-Cent pro Watt. Chinesisches Ziel für 2025 sind 15 Cent, wie der französische Unternehmer und Solarexperte Gaetan Masson auf der Münchner Messe Intersolar berichtete. »Wenn die Chinesen so etwas sagen, tun sie es auch.«
Doppelt so hohe Kosten in Europa
Die europäischen Kosten sind nach Schätzung eines Fachmanns nach einer groben Formel etwa doppelt so hoch. »Wir sind viel teurer als die Chinesen«, sagte Masson. »Das ist nicht nur eine Frage von Investitionen und Betriebsausgaben, sondern von fehlender Wettbewerbsfähigkeit.«
Bei der Herstellung eines Solarmoduls gibt es fünf Hauptproduktionsschritte: Aus Quarzsand wird Polysilizium hergestellt, der Grundstoff photovoltaischer Zellen. Das Polysilizium wird zu Barren geformt, diese in hauchdünne Scheiben gesägt, damit die photovoltaischen Zellen gefertigt und am Ende das Modul montiert. Vor allem die ersten Produktionsschritte sind sehr energieintensiv. Verteuert wird die Herstellung in Europa durch die Strompreise.
»Ohne einen Industriestrompreis wird eine Renaissance der Solarindustrie in Europa kaum gelingen«, sagt BSW-Chef Körnig. Billigerer Strom alleine würde nach Körnigs Einschätzung aber nicht genügen - daher das Plädoyer für einen »Doppelwumms« mit gleichzeitiger industriepolitischer Hilfe für die Solarindustrie.
Die USA bieten - abgesehen vom billigeren Strom - Solarfirmen im Rahmen des Inflation Reduction Acts große Steuervorteile. Da es in Europa keine vergleichbaren Anreize gibt, ist es für Solarunternehmen derzeit keine Frage, wo Geld besser investiert wäre.
»Trabi mit kaputtem Motor«
"Wenn nichts getan wird, um die europäischen Modulhersteller zu schützen, wird auch niemand hier investieren", resümierte auf der Intersolar Gunter Erfurt, Vorstandschef des Modulherstellers Meyer Burger. Verglichen mit den außereuropäischen Wettbewerbern sei die heimische Idustrie in der Situation eines »Trabi mit kaputtem Motor«.
Gleichzeitig sagen quasi alle beteiligten Manager, dass sie gerne mehr europäische Module her- beziehungsweise bestellen würden. Die Abhängigkeit insbesondere von chinesischen Importen empfindet niemand als glücklich.
»Wir wollen unsere Lieferketten regional diversifizieren«, sagt Matthias Taft, Vorstandschef der Baywa RE, einem großen Projektentwickler von Solarkraftwerken. »Hierfür gibt es ein übergeordnetes Interesse - nicht nur von uns als Entwicklern, sondern auch von Herstellern oder Stromversorgern. Wir wollen uns entlang der gesamten PV-Wertschöpfungskette breiter aufstellen.«
An mangelnden Absatzchancen liegt es jedenfalls nicht. Der Markt sei groß genug, um eine europäische Photovoltaik-Industrie mit einer Kapazität von 30 Gigawatt zu etablieren, meint Taft.
Asiatische Hersteller hätten mit besseren Rahmenbedingungen und einem großen Produktionsvolumen einen Wettbewerbsvorteil erreicht. »Wir haben aber nach wie vor einen Technologievorsprung«, sagt der Manager. »Ein Produkt «made in Europe», wo wir volle Transparenz bezüglich der Lieferkette haben, wo wir grünen Strom zum Einsatz bringen können, würde meines Erachtens bei vielen Endkunden gut ankommen.«
Doch Konsens in der Branche ist, dass eine Renaissance der europäischen Solarindustrie ohne staatliche Förderung und Unterstützung nicht möglich sein wird. »Um in der Industrie wettbewerbsfähig zu werden, braucht es jedoch planbare finanzielle Anreize«, sagt Taft - und verweist auf den Inflation Reduction Act der USA.
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