Der bayerische Hotel- und Gaststättenverband war einer der ersten: Flüchtende aus der Ukraine könnten in den Betrieben des Verbandes eine »Heimat auf Zeit« finden, hieß es in einer Pressemitteilung.
Eine humanitäre Geste, unter den ersten schockierenden Eindrücken von Krieg und Vertreibung. Ob in dem Angebot auf kostenloses Wohnen auf Zeit auch ein wenig das Wittern einer Chance zum Ausdruck kommt, leichter als bisher an die sehnlichst herbeigewünschten Arbeitskräfte zu kommen? Man weiß es nicht. Auch die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände hat zusammen mit anderen Spitzenverbänden unter dem Stichwort »Wirtschaft Hilft« inzwischen eine Webseite auf die Beine gestellt. Zweiter Punkt nach Spenden für die Bedürftigen: Integration in die Arbeitswelt.
Deutscher Arbeitsmarkt braucht Fachkräfte
Tatsache ist: Der deutsche Arbeitsmarkt ist leer gefegt. Es fehlen Arbeitskräfte an allen Ecken und Enden - zu Hunderttausenden. Die Gastronomie, die Pflege, das Handwerk und die Industrie - alle sind betroffen. Der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, predigt seit Monaten das gleiche Lied: Weil die geburtenstarken Jahrgänge jetzt in Rente gehen, braucht das Land 400.000 Zuwanderer pro Jahr - netto. 2019 waren es 327.000, im Jahr 2020 nur noch 220.000, wie aus Material des Statistischen Bundesamtes hervorgeht. 2021 dürften es wegen teilweise weiter geltender Reisebeschränkungen in der Corona-Pandemie erneut zu wenig gewesen sein. Monatelange Wartezeiten auf Handwerker und zusätzliche Ruhetage in Restaurants sprechen schon jetzt eine klare Sprache.
Die Menschen aus der Ukraine kämen eigentlich - so bitter ihr Schicksal ist - für den deutschen Arbeitsmarkt wie gerufen. »Die Geflüchteten aus der Ukraine, die gegenwärtig das Land verlassen, dürften sich durch ein überdurchschnittliches Bildungsniveau und einen hohen Anteil von Frauen und Kindern auszeichnen«, schreibt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (Nürnberg) in einem Ad-hoc-Bericht. Die erstmals aktivierte Massenzustrom-Richtlinie der EU gibt ihnen Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis zunächst für ein Jahr.
Durch längere Aufenthaltserlaubnisse müsse ihnen eine sichere Perspektive gegeben werden, sollten sie sich entscheiden, länger in Deutschland bleiben zu wollen, fordert das IAB. »Aufbauend auf den Erfahrungen der Integration anderer Geflüchteter sollte die Integration durch Sprach- und Arbeitsmarktprogramme, eine schnelle Arbeitsmarktberatung und -vermittlung, die Anerkennung beruflicher Abschlüsse und den Erwerb weiterer Bildungsabschlüsse unterstützt werden«, heißt es in dem IAB-Bericht weiter. Notwendig sei es dazu, Kinder und Jugendliche schnell in Schul- und Betreuungssysteme zu bringen.
Was bei aller Not und bei allem Elend nach einer Perspektive für alle Beteiligten klingt, gestaltet sich in der Praxis nicht so einfach. Eine schnelle Integration der Ukrainerinnen und Ukrainer in den deutschen Arbeitsmarkt dürfte daran scheitern, dass ein Großteil der Geflüchteten Frauen und Kinder sind. Die Zahl derer, die für die Aufnahme von Arbeit überhaupt in Frage kommen, ist also deutlich kleiner als die Zahl der Geflüchteten.
Jobeinstieg wird noch dauern
Hinzu kommt, dass die Mütter gemeinsam mit ihren Kindern erst einmal mit dem Trauma der Vertreibung und des Krieges klarkommen müssen. Dann geht es um die Kinderbetreuung. Dann um das Erlernen der deutschen Sprache. Erst dann wird in den meisten Fällen an einen Job zu denken sein.
Der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, sieht dennoch eine Chance. »Wenn es dazu kommen sollte, dass die Menschen länger bei uns bleiben und sie Arbeit suchen oder eine Ausbildung machen wollen, sind wir selbstverständlich vorbereitet und gut aufgestellt, um möglichst schnell und unbürokratisch zu helfen«, sagte Scheele dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Donnerstag).
Viele Ukrainer hätten nach ersten Erkenntnisse Schul- und Berufsabschlüsse auf gutem Niveau. »Wir gehen in den in den Kommunen bereits jetzt auf alle Beteiligten zu und reaktivieren die Netzwerke, die wir in der letzten Fluchtmigrationsbewegung ab 2014 erfolgreich aufgebaut haben«, sagte der BA-Chef.
Nach derzeitigen Vorgaben vom Bundesinnenministerium sollen die Ankömmlinge aus der Ukraine nach dem Asylbewerberleistungsgesetz behandelt werden. Eine alleinerziehende Mutter würde demnach 367 Euro pro Monat von der öffentlichen Hand bekommen - deutlich weniger als die 449 Euro, die einem Hartz-IV-Empfänger zustehen. Hinzu kommen geringere Sätze für Kinder und Jugendliche. Die Kosten aus dem Asylbewerberleistungsgesetz tragen die Bundesländern.
Viele Regelungen noch unklar
Noch unklar ist, wie die Regelungen für die Ukrainer genau ausgelegt werden. Für die Ukraine gibt es keine Visumspflicht - Menschen mit ukrainischem Pass dürfen sich also 90 Tage visumsfrei in Deutschland aufhalten und ihren Aufenthaltsort frei wählen. Viele suchen die Nähe zu Verwandten und Bekannten, die bereits in Deutschland leben - etwa in Bayern wurde bisher nur ein kleinerer Teil in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht, wie Staatskanzleiminister Florian Herrmann (CSU) berichtete. Eine zentrale Steuerung der Verteilung aufs Bundesgebiet, wie etwa von Bayern gefordert, wird dadurch komplizierter.
Nicht geklärt ist zudem, wie die Ukrainer in die System der Bundesagentur für Arbeit eingespeist werden - etwa, um deren Sprach- und Integrationskurse in Anspruch nehmen zu können. Man müsse momentan noch abwarten, »welche Möglichkeiten uns die Politik gesetzlich gibt zu helfen, wie viele Menschen zu uns kommen, welche Bedürfnisse sie haben und wie sich die gesamte Situation weiter entwickelt«, sagt deshalb BA-Vorstandschef Scheele.
© dpa-infocom, dpa:220310-99-465624/3