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Großer Warnstreik legt Häfen an der Nordseeküste lahm

Auf See stauen sich die Containerriesen, in den Häfen streiken die Arbeiter. Der Unmut im Tarifstreit ist so groß, dass einige Beschäftigte zu verbotenen Protestmitteln greifen.

Hamburger Hafencity
Hafenarbeiter ziehen unter dem Motto »Das Inflationsmonster stoppen« durch die Hamburger Hafencity. Foto: Axel Heimken
Hafenarbeiter ziehen unter dem Motto »Das Inflationsmonster stoppen« durch die Hamburger Hafencity.
Foto: Axel Heimken

Mit einem Warnstreik rund um die Uhr haben Tausende Hafenarbeiter die Abfertigung von Container- und Frachtschiffen in Deutschlands großen Seehäfen weitgehend lahmgelegt.

»Emden, Bremen, Bremerhaven, Brake, Wilhelmshaven und Hamburg, überall stehen die Kräne und die Anlagen heute still«, sagte Verdi-Verhandlungsführerin Maya Schwiegershausen-Güth auf einer Kundgebung von mehreren Tausend Hafenarbeitern in Hamburg.

Die Beschäftigten traten mit der Frühschicht am Donnerstag in Ausstand, erst am Freitagmorgen sollte die Arbeit weitergehen. Ziel war, im Tarifstreit um die Entlohnung der Hafenarbeiter den Druck auf die Arbeitgeber zu erhöhen. »Wir brauchen einen kräftigen Schluck aus der Pulle, wir brauchen eine kräftige Lohnerhöhung«, sagte Schwiegershausen-Güth vor nach Gewerkschaftsangaben mehr als 4000 Demonstranten. Die Polizei sprach von 3500 Teilnehmern.

Schiffsstau auf der Nordsee verschärft sich

Die Auswirkungen des Warnstreiks auf die Abfertigung der Container- und Frachtschiffe dürften erheblich sein. Beim ersten nur viereinhalb Stunden dauernden Warnstreik vor drei Wochen war das Be- und Entladen der Schiffe weitgehend zum Erliegen gekommen. Die ohnehin gespannte Lage mit einem Schiffsstau auf der Nordsee verschärfte sich weiter.

Dort stecken nach Angaben des Kieler Instituts für Weltwirtschaft coronabedingt inzwischen mehr als zwei Prozent der globalen Frachtkapazität fest. Allein in der Deutschen Bucht warteten nach jüngsten Daten vom Dienstag 15 Containerschiffe auf die Abfertigung in Hamburg oder Bremerhaven. Für Deutschland und die EU bedeute dies Beeinträchtigungen im Überseehandel, speziell mit Asien, von wo Unterhaltungselektronik, Möbel oder Textilien geliefert würden.

Entsprechend zeigte sich auch die Hamburger Reederei Hapag-Lloyd wenig erfreut über den Warnstreik, sprach von erheblichen Schäden. »Jeder Tag, den ein Schiff steht, kostet uns natürlich Geld, verärgert Kunden, Konsumenten, Seeleute und auch unser Landpersonal«, sagte ein Sprecher. Die Streiks trügen zur ohnehin extrem angespannten Situation der Branche bei und schadeten der Reputation des Hamburger Hafens.

Verhärtete Fronten

Trotz vier Verhandlungsrunden haben Verdi und der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) keine Einigung für die rund 12.000 Beschäftigten in den 58 tarifgebundenen Betrieben in Hamburg, Niedersachsen und Bremen erzielt. Die verhärteten Fronten zeigten sich auch daran, dass auf der Hamburger Demo vereinzelt Rauchtöpfe und Böller gezündet wurden. Das ist für solche Veranstaltungen völlig unüblich. Die Polizei drohte, die Demo abzubrechen. Zuvor war nach der erfolglosen vierten Verhandlungsrunde am Dienstag das Bürogebäude der BLG Logistics Group AG & Co KG in Bremen beschädigt worden.

Die Gewerkschaft fordert bei einer Tariflaufzeit von 12 Monaten eine Erhöhung der Stundenlöhne um 1,20 Euro sowie in Vollcontainerbetrieben eine Erhöhung der jährlichen Zulage um 1200 Euro. Darüber hinaus verlangt Verdi einen nicht näher bezifferten »tatsächlichen Inflationsausgleich«. Bei Löhnen von aktuell knapp unter 15 Euro bis gut 28 Euro pro Stunde bedeuten die Verdi-Forderungen eine Gehaltssteigerung um bis zu 14 Prozent.

Der ZDS bietet in seinem nach eigenen Angaben »finalen« Angebot bei einer Tariflaufzeit von 18 Monaten eine Anhebung der Stundenlöhne um 1,20 Euro - im Autoumschlag um 90 Cent - an. Er sie auch mit der Anhebung der Zulage um 1200 Euro einverstanden. Als Inflationsausgleich soll es in Vollcontainer-Betrieben eine Einmalzahlung in Höhe von 1000 Euro und in konventionellen in Höhe von 500 Euro geben.

»Wir haben ein sofort wirksames Volumen von bis zu 11 Prozent, davon eine dauerhafte Erhöhung der Löhne um bis zu 7,2 Prozent, angeboten«, hatte ZDS-Verhandlungsführerin Ulrike Riedel zuletzt gesagt. Das gehe über eine echte Reallohnsicherung hinaus und liege deutlich über vergleichbaren Tarifabschlüssen.

»In der vierten Verhandlungsrunde ein schlechteres Angebot abzugeben, als in der Runde davor - dass ich nicht lache!«, sagte der Sprecher der Verdi-Vertrauensleute beim Gesamthafenbetrieb, Sebastian Kalkowski. »Der Arbeitgeber braucht uns mehr als wir ihn. Und das hier ist ein ganz klares Zeichen: Er soll uns nicht verarschen!«

Warnstreik lähmt Containerhafen Bremerhaven

Neben Hamburg war auch der zweitgrößte deutsche Containerhafen Bremerhaven gelähmt. »Der Hafen steht still«, sagte Verdi-Sekretär Markus Westermann. Er rechne damit, dass sich 2500 Hafenarbeiter und -arbeiterinnen aller drei Schichten die Arbeit niederlegen. Bestreikt wurde sowohl die Containerabfertigung wie die Be- und Entladung von Autofrachtern.

Auch in der Stadt Bremen und den niedersächsischen Häfen Brake, Wilhelmshaven und Emden streikten den Angaben fast komplette Belegschaften. »Der Betrieb steht still«, sagte ein Verdi-Sprecher in Wilhelmshaven. »Die Frühschicht ist komplett vors Werkstor gezogen und dem Streikaufruf gefolgt«, hieß es in Brake. In Emden wurden Autofrachter nicht abgefertigt. In Bremen streikten etwa 90 Mitarbeiter im Stückguthafen Neustädter Hafen.

© dpa-infocom, dpa:220623-99-774244/4