Bauministerin Klara Geywitz hält trotz Problemen in der Baubranche an ihrem Ziel fest, jährlich 400.000 neue Wohnungen zu schaffen.
Das zu erreichen, sei durch Lieferengpässe und explodierte Preise für Baustoffe und Energie zwar noch deutlich ambitionierter geworden, sagte die SPD-Politikerin am Mittwoch in Berlin. Zugleich aber würden die Wohnungen noch viel dringender gebraucht. Die Bauwirtschaft dagegen hält das Ziel inzwischen für »illusorisch«, wie zum Auftakt eines Bündnisses für bezahlbares Wohnen deutlich wurde.
In dem Bündnis versammelt Geywitz die Immobilienwirtschaft, kommunale Spitzenverbände und Interessenvertreter vom Behindertenbeauftragten bis hin zu Naturschutzverbänden an einem Tisch. Sie alle sollen gemeinsam dafür sorgen, dass mehr bezahlbare, klimafreundliche Wohnungen in Deutschland entstehen. Das sei ohnehin schon eine große gesellschaftliche Aufgabe, sagte Geywitz. Angesichts des Ukraine-Kriegs und der vielen Flüchtenden sei es aber noch wichtiger. »Das heißt ja, die Rahmenbedingungen sind schwieriger geworden«, räumte sie ein. »Aber natürlich dürfen wir angesichts des Bedarfes nicht das Ziel in Abrede stellen.«
Enormer Handlungsbedarf
Die Branche sieht allerdings enormen politischen Handlungsbedarf. »Der dringend benötigte Wohnungsbau und die klimaschonende Sanierung stehen in Deutschland kurz vor dem Erliegen«, mahnte der Präsident des Spitzenverbands der Wohnungswirtschaft, Axel Gedaschko. »Die massiven Lieferkettenprobleme seit der Coronakrise dauern an, es herrscht Chaos bei der Förderung für bezahlbaren, klimaschonenden Wohnungsbau und der Krieg gegen die Ukraine führt zu weiteren massiven Baupreissteigerungen und Lieferengpässen.« Dadurch verschärfe sich der Mangel an Fachkräften und Material, gleichzeitig stiegen die Zinsen und die Energiekosten für Mieter und Vermieter.
Der Hauptgeschäftsführer des Bauindustrie-Verbands, Tim-Oliver Müller, sieht wie Gedaschko das Wohnungsbauziel der Bundesregierung in Gefahr. Inzwischen müsse man sogar davon ausgehen, dass es zu einem Rückgang beim Wohnungsneubau und in letzter Konsequenz auch bei der Baukonjunktur insgesamt kommen könne. Der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA) mahnte mutige politische Schritte an: »Wir benötigen einen Regulierungsstopp und die Aussetzung zeitraubender Genehmigungsverfahren«, hieß es.
Geywitz betonte, nun müssten alle an einem Strang ziehen. »Wir brauchen auch die Unterstützung der Bauwirtschaft, die ihre Kapazitäten deutlich ausweiten muss, aber durch steigende Baukosten und Materialengpässe unter Druck steht«, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur.
Gemeinsames Ziel
Die Mitglieder des Bündnisses sollen sich alle dem gemeinsamen Wohnungsbau-Ziel verschreiben - aber auch etwa Entwürfe für öffentliche Fördergelder erarbeiten. Welche Bedingungen beim Klimaschutz müssen Neubauten und Umbauten erfüllen, um staatlich gefördert zu werden? Und wie schafft man es, dass all die genehmigten Wohnungen auch wirklich zeitnah gebaut werden? Derzeit sind laut Geywitz fast 800.000 Wohnungen bewilligt, aber noch nicht gebaut. Mitunter machten es Hemmnisse bei der Planung schwierig, im Bestand zu verdichten, sagte die Ministerin. Zum Beispiel die Frage, ob man heute in der Stadt noch so viele Auto-Stellplätze vorsehen muss wie früher. »Ich finde, nein.«
Neue Wohnungen sollen nach ihren Vorstellungen vor allem in den Ballungsräumen geschaffen werden, aber weniger durch neue Baugebiete. Stattdessen sollen Baulücken gefüllt, Häuser aufgestockt und Gewerbebauten in Wohnungen verwandelt werden. Insgesamt sollen Deutschlands Städte dichter werden.
Der Wohnungsbauexperte der Union, Jan-Marco Luczak, kritisierte fehlende Lösungsvorschläge des Bündnisses. »Ohnehin breit akzeptierte Ziele zu formulieren, ist aber noch keine Politik«, betonte er. »Die Bauministerin droht sich bereits auf den ersten Metern in Ideologie und theoretischen Debatten zu verheddern. Damit verlieren wir wertvolle Zeit, bis tatsächlich etwas auf den Baustellen ankommt.« Caren Lay von der Linksfraktion bemängelte, teure Luxus- und Eigentumswohnungen lösten das Problem des bezahlbaren Wohnraums nicht. Sie schlug stattdessen vor, in Innenstädten mit angespanntem Wohnungsmarkt sollten nur noch Sozialwohnungen gebaut werden.
Auch DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell sieht einen Schwerpunkt auf bezahlbarem, öffentlich gefördertem Wohnungsbau. Gerade Haushalte mit mittleren und geringen Einkommen brauchten solche Wohnungen. Dabei müsse die Bundesregierung auch Mieter vor Verdrängung und Mieterhöhungen schützen. Er schlug etwa einen sechsjährigen Mietenstopp vor. Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Jürgen Dusel, wies auf eine besondere Knappheit an barrierefreien Wohnungen hin. Hier sei ein klares Bekenntnis aller Akteure, nicht nur der Politik nötig. »Barrierefreiheit von Beginn an zu planen, ist eine Frage von Qualität, Professionalität und Nachhaltigkeit«, betonte er. »Nur barrierefreier Wohnungsbau verdient den Namen sozialer Wohnungsbau.«
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