Logo
Aktuell Wirtschaft

Flugscham? Klimaneutrales Fliegen erstmal nicht in Sicht

Die Luftfahrtbranche erfüllt neben lebenswichtigem Frachttransport auch so manchen Reisetraum. Aber kann man angesichts des Klimawandels ohne schlechtes Gewissen fliegen?

Flugzeug
Immer öfter plagt Reisende aber Flugscham - das schlechte Gewissen, klimaschädliche Treibhausgase zu verursachen. Foto: Federico Gambarini/DPA
Immer öfter plagt Reisende aber Flugscham - das schlechte Gewissen, klimaschädliche Treibhausgase zu verursachen.
Foto: Federico Gambarini/DPA

Sommerzeit, Reisezeit: Da lockt, wenn es finanziell geht, ein Urlaub zum Sonnetanken an fernen Stränden oder ein Städtetrip. Immer öfter plagt Reisende aber Flugscham - das schlechte Gewissen, klimaschädliche Treibhausgase zu verursachen. Andere werden von Kindern, Freunden und Kollegen schief angesehen.

Muss nicht sein, meint der Verband der Fluggesellschaften (Iata). Man könne klimaneutral fliegen, jedes Jahr mehr, und spätestens 2050 ganz und gar. Aber ist das realistisch? Experten sind skeptisch. Über den nachhaltigen Flugkraftstoff SAF, den die Iata als Kernelement ihres Plans für Klimaneutralität preist, sagt die Strategiedirektorin des britischen Luftfahrt-Umweltverbandes AEF, Cait Hewitt: »Beim Verbrennen von SAF entsteht genausoviel CO2 wie beim Verbrennen von Kerosin.«

Die Branche steht unter Druck. Die Luftfahrt macht nach Schätzungen im Jahr rund 2,5 Prozent der globalen CO2-Emissionen aus, mehr als Deutschland, das unter den zehn größten CO2-Verursachern der Welt ist. Neben effizienteren Triebwerken und Ausgleichsmaßnahmen setzt die Iata deshalb auf SAF (Sustainable Aviation Fuel). Gemeint ist alles, was nicht aus fossilen Ausgangsstoffen produziert und nachhaltig ist. E-Fuels, also komplett synthetisches Kerosin mit Wind- oder Sonnenkraft als Ausgangsenergie werden bislang nur im Labormaßstab gewonnen.

Frittenfett, Schlacht- und Fischabfälle, Pflanzenöle und ihre Reststoffe: Daraus kann grundsätzlich SAF hergestellt werden. Der Marktführer Neste nutzt nach eigenen Angaben ausschließlich gebrauchtes Speiseöl sowie Schlachtabfälle. Das finnische Unternehmen hat eine Produktionskapazität von rund einer Million Tonnen SAF im Jahr und baut weiter aus. Perspektivisch kommen für SAF auch Zellstoffe und Haushaltsmüll als Quelle in Frage. Neste zufolge könnten mit seinem SAF im Vergleich zu Kerosin bis zu 80 Prozent Emissionen eingespart werden, wenn mit 100 Prozent SAF geflogen würde. Das ist aber bis heute nicht möglich.

Die Iata macht geltend, dass zum Beispiel Pflanzen als Ausgangsmaterial beim Wachsen CO2 aus der Atmosphäre aufgenommen haben. Nur das werde beim Verbrennen im Flugzeug wieder in die Atmosphäre abgegeben - so sei SAF über seinen gesamten Lebenszyklus klimaneutral.

Wenn SAF aus Abfällen statt Pflanzen gewonnen werde, sei die Rechnung komplizierter, weil viel klimaschädliches Material wie Plastik enthalten sei, sagt Hewitt. »Wenn man das Material in Müllhalden liegenlassen würde, gäbe es weniger Emissionen.«. Natürlich sei die Weiterverwertung von Abfällen sinnvoll und nötig. Aber die Branche müsse viel mehr tun. Das beste wäre synthetisches Kerosin, gewonnen aus CO2 aus der Atmosphäre und grünem Wasserstoff, sagt Hewitt. Ob dafür aber genügend erneuerbare Energien zur Verfügung stünden und dies zu einem weniger als exorbitanten Preis produziert werden könne, sei offen. »Wir brauchen mehr Ehrlichkeit und den Willen der Industrie zu akzeptieren, dass man neben technischen Innovationen auch die Nachfrage im Luftverkehr senken muss«, sagt Hewitt.

Im Iata-Plan zur Klimaneutralität wären schon bis 2030 rund 24 Millionen Tonnen SAF nötig - und mehr als 400 Millionen Tonnen bis 2050. Im vergangenen Jahr wurde erst ein Hundertstel der bis 2030 avisierten Menge produziert, räumt sie ein: 240 000 Tonnen. Gemessen am gesamten Flugkraftstoff waren das 0,1 Prozent.

EU setzt auf Quote

Regierungen müssten mit Produktionsanreizen dafür sorgen, dass mehr produziert werde, sagt Iata-Chef Willie Walsh. Die EU setzt auf Quote: Ab 2025 müssen Kerosinanbieter immer mehr nachhaltigen Flugkraftstoff beimischen. Der Anteil soll bis 2050 von 2 auf 70 Prozent steigen.

Der Lufthansa-Konzern sieht sich als SAF-Pionier mit operativer Erfahrung seit 2011. Die Fluggesellschaft verflog nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr rund 13 000 Tonnen beigemischtes SAF. Das waren 0,2 Prozent ihres Bedarfs. Das Unternehmen warnt, dass alternative Kraftstoffe aus Biomasse oder Strom äußerst knapp und zurzeit auch fünf- bis zehnmal so teuer wie fossiles Kerosin seien. Die Lufthansa bezweifelt, dass 2025 zum EU-Beimischungsstart ausreichend biogenes SAF zur Verfügung steht und glaubt auch nicht an ausreichend synthetisches Kerosin, das ab 2030 zugetankt werden soll. Statt die europäischen Gesellschaften einseitig mit Kosten zu belasten, solle die EU besser Anreize zum Aufbau der entsprechenden Anlagen setzen, pflichten die Branchenverbände BDL und A4E bei.

Das Beratungsunternehmen Bain bezweifelt stark, dass Klimaneutralität des globalen Luftverkehrs bis 2050 erreicht werden kann, insbesondere bei einer jährlichen Steigerung des Verkehrs um drei Prozent. Es erwartet bis 2050 eine Produktion von lediglich 135 Millionen Tonnen SAF - und das auch nur, wenn dem Luftverkehr Vorrang bei Rohstoffen und grünem Wasserstoff eingeräumt wird. Die Fluggesellschaften könnten bis 2050 bestenfalls 70 Prozent ihrer Emissionen vermeiden, schrieben die Experten in einer Studie. Und der Effekt durch effizientere Triebwerke wäre dabei größer als der durch nachhaltige Kraftstoffe.

Dass Fliegen mit mehr Nachhaltigkeit teurer wird, ist sicher. Laut einer Studie der Unternehmensberatung PwC würden die Kosten bei einer Beimischung von 16 Prozent SAF auf einem Langstreckenflug etwa von Frankfurt nach Singapur oder von München nach New York mit rund 36 Euro pro Passagier zu Buche schlagen. »Weniger weit und weniger oft zu fliegen sind wirksame Maßnahmen, die jeder ergreifen kann, um die Ansammlung von CO2 in der Atmosphäre zu verlangsamen«, sagt Hewitt.

© dpa-infocom, dpa:230808-99-758149/4