Die von der EU-Kommission geplanten neuen europäischen Schuldenregeln können einer Untersuchung zufolge Investitionen in den Klimaschutz hemmen - und somit zu Wettbewerbsnachteilen führen. Viele Länder in Europa werden der am Freitag vorgestellten Analyse der New Economics Foundation (NEF) zufolge nicht in der Lage sein, in eine grüne Industriepolitik zu investieren, ohne andere Ausgaben kürzen zu müssen oder etwa die Steuern zu erhöhen. Somit könnten die Klimaziele nicht erreicht werden, kritisierten die Experten.
Weiterhin wachse so die Ungleichheit in der EU: Wenn einige Länder deutlich mehr investieren könnten als andere, würden die Unterschiede in der Wirtschaftskraft künftig noch größer, warnten die Wissenschaftler.
Nur vier EU-Länder könnten BIP erhöhen
Hintergrund ist der sogenannte Stabilitäts- und Wachstumspakt, der den EU-Ländern Obergrenzen vorschreibt. Die Kommission hatte am Mittwoch Reformvorschläge vorgelegt, nach denen hoch verschuldeten europäischen Ländern mehr Flexibilität beim Abbau der Schulden eingeräumt werden soll.
Die bisherigen Ziele, Schulden bei maximal 60 Prozent der Wirtschaftsleistung zu begrenzen und Haushaltsdefizite unter 3 Prozent zu halten, bleiben aber dem Vorschlag zufolge bestehen. Wegen der Corona-Krise sowie der Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine wurden die Regeln vorübergehend bis 2024 ausgesetzt.
Unter den neuen vorgeschlagenen Regeln wäre es der Analyse nach nur den vier EU-Länder Irland, Schweden, Lettland und Dänemark möglich, die öffentlichen Investitionen um drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu erhöhen und somit die Pariser Klimaziele erfüllen, ohne die Schuldenregeln zu brechen. 13 Länder, die insgesamt die Hälfte des BIP der EU generieren, könnten ihre Investitionen nicht um 1 Prozent erhöhen, ohne anderswo zu kürzen oder Steuern zu erhöhen.
Deutschland könnte demnach seine Ausgaben annähernd genug erhöhen, um Emissionen schneller zu reduzieren. Da die Bundesrepublik von der Kommission aber als Land mit mittlerem Verschuldungsrisiko eingeschätzt werde, könnten hier möglicherweise Beschränkungen greifen.
NEF-Experte: »Sparpolitik steht im Weg«
NEF-Experte Sebastian Mang sagte: »Die EU und Deutschland haben die Chance, weltweit führend in der Bewältigung der Klimakrise und grüner Industriepolitik zu sein und damit gute Arbeitsplätze nach Europa zu bringen. Aber Sparpolitik steht dem im Weg.« Die Regierungen anderer großer Volkswirtschaften wie den USA, China und Japan, handelten anders. Mang schlägt als eine mögliche Verbesserung vor, grüne Investitionen von den Schuldenregeln auszunehmen.
Deutschland gehen die neuen Vorschläge nicht weit genug. Das Finanzministerium hatte sich in der seit Monaten anhaltenden Debatte über neue Regeln für relativ strenge Mindestvorgaben beim Schuldenabbau ausgesprochen. Das sei problematisch, wenn Europa im internationalen Wettbewerb um grüne Industrie und Arbeitsplätze bestehen und sicherstellen wolle, dass alle Mitgliedstaaten davon profitieren könnten, hieß es.
Für die Analyse untersuchten die Experten verschiedene Szenarien von Ausgabensteigerungen, um den Bedarf an grünen Ausgaben bis 2027 zu decken. Grundlage dafür waren Bewertungen verschiedener Think Tanks, des Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Kommission. Um die Anforderungen des Pariser Klimaabkommens zu erfüllen, setzten sie ein Szenario an, in dem die EU insgesamt drei Prozent des BIP für Klimaausgaben aufbringt.
Lindner fordert Nachbesserungen
Bundesfinanzminister Christian Lindner hat beim Treffen mit EU-Kollegen Nachbesserungen an Plänen für neue EU-Schuldenregeln gefordert. Aus deutscher Sicht seien wichtige weitere Ergänzungen notwendig, sagte der FDP-Politiker am Freitag in Stockholm. Es sei wichtig, »in Zahlen gegossene Anforderungen zu haben«. Die Vorschläge der EU-Kommission seien »noch nur ein erster Schritt«.
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