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EU-Länder einig: Grundsätze für neue Schuldenregeln

Die EU-Schuldenregeln sind kompliziert und in der Vergangenheit oft gebrochen worden. Sie sollen daher reformiert werden. Monatelang streiten die Länder über Neuerungen - nun steht ein Kompromiss.

Neue Schuldenregeln
Europas Finanzminister rangen monatelang um einen Kompromiss für eine Reform des sogenannten Stabilitäts- und Wachstumspakts. Foto: Karl-Josef Hildenbrand/DPA
Europas Finanzminister rangen monatelang um einen Kompromiss für eine Reform des sogenannten Stabilitäts- und Wachstumspakts.
Foto: Karl-Josef Hildenbrand/DPA

Die Finanzminister der EU-Staaten haben sich auf Pläne für eine Reform der europäischen Schuldenregeln verständigt. Sie sehen unter anderem vor, dass die individuelle Situation der Länder stärker als bislang berücksichtigt wird, wie es nach einer Videokonferenz der Finanzminister am Mittwoch hieß.

Deutschland sehr zufrieden

Bundesfinanzminister Christian Lindner setzt darauf, dass die neuen Regeln in der EU zu niedrigeren Haushaltsdefiziten und jährlich sinkenden Schuldenquoten führen werden. »Die Stabilitätskultur in Europa ist gestärkt«, sagte der FDP-Politiker nach der Einigung. »Es gibt klare Zahlen für niedrigere Haushaltsdefizite und eine Reduzierung der Staatsverschuldung.« Zugleich gebe es aber auch Anreize für Investitionen.

Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire sprach am Abend in einem Video auf der Plattform X (ehemals Twitter) von einer ausgezeichneten Nachricht für Frankreich und für Europa. Zum ersten Mal in 30 Jahren würden die Regeln die Bedeutung von Strukturreformen und Investitionen anerkennen. Dabei gehe es etwa um Investitionen in den Klimaschutz und die Verteidigung, die in den kommenden Jahrzehnten unbedingt erforderlich seien.

Was nach dem Willen der Länder künftig gelten soll

Dem Kompromiss zufolge müssen die EU-Länder künftig ihre jeweiligen vierjährigen Finanzpläne der EU-Kommission vorlegen. Allerdings besteht die Möglichkeit, den Zeitraum für die Haushaltsanpassung auf sieben Jahre zu verlängern, wenn sie sich verpflichten, strategische Investitionen und Reformen durchzuführen, hieß es von der spanischen Ratspräsidentschaft. »Dies wird zu einer besseren Einhaltung der Vorschriften führen, da die Bedingungen auf die Prioritäten der Regierungen und ihre spezifischen Bedürfnisse abgestimmt werden.«

Grundsätzlich bleiben die bisherigen Ziele des sogenannten Stabilitäts- und Wirtschaftspakts bestehen: Schulden sollen bei maximal 60 Prozent der Wirtschaftsleistung begrenzt und Haushaltsdefizite unter 3 Prozent gehalten werden. Darüber hinaus sind den Angaben zufolge unter anderem Schutzmaßnahmen geplant: Hoch verschuldete Länder (Schuldenstand von über 90 Prozent) müssen ihre Schuldenquote jährlich um einen Prozentpunkt senken, Länder mit Schuldenständen zwischen 60 und 90 Prozent um 0,5 Prozentpunkte. Auf diese Bedingung hatte vor allem Deutschland gepocht.

Die spanische Wirtschaftsministerin Nadia Calviño sagte: »Die Regeln sind realistischer.« Sie entsprächen der Realität nach der Pandemie und berücksichtigten auch die Lehren, die aus der großen Finanzkrise gezogen worden seien. Außerdem werde sichergestellt, dass die mehrjährigen Finanzpläne der Länder nicht durch politische Wechsel geändert werden.

Berlin und Paris lange uneins

Monatelang hatten Europas Finanzminister um einen Kompromiss für eine Reform des sogenannten Stabilitäts- und Wachstumspakts gerungen. Auf technischer Ebene fanden nach Angaben der zuständigen spanischen Ratspräsidentschaft mehr als vierzig Sitzungen statt. Grundlage der Verhandlungen war ein Vorschlag der Europäischen Kommission, der statt einheitlicher Vorgaben beim Schuldenabbau individuelle Wege für jedes Land vorsah.

Die EU-Schwergewichte Deutschland und Frankreich waren lange sehr unterschiedlicher Meinung. Berlin pochte auf einheitliche Vorgaben für den Schulden- und Defizitabbau hoch verschuldeter Länder - was Paris ablehnte. Der Einigung der 27 Länder nun war ein deutsch-französischer Vorschlag vorausgegangen, auf den sich Lindner und Le Maire am Dienstagabend verständigt hatten. Eine Einigung ohne Verständigung zwischen Paris und Berlin galt als nahezu ausgeschlossen.

Zuletzt galt es dem Vernehmen nach noch, grünes Licht aus Italien zu bekommen. Rom hatte lange signalisiert, keine strengen Regeln zu akzeptieren. Italiens Finanzminister Giancarlo Giorgetti sagte nach der Einigung: »Es gibt einige positive Dinge und einige weniger positive.« Italien habe jedoch viel erreicht. »Vor allem ist das, was wir unterzeichnen, ein nachhaltiges Abkommen für unser Land, das einerseits auf einen realistischen und schrittweisen Schuldenabbau abzielt und andererseits die Investitionen in einem konstruktiven Geist betrachtet.«

Warum die Regeln reformiert werden sollten

Die bislang geltenden Vorschriften für den Schuldenabbau der EU-Länder stammen aus den 1990er Jahren und gelten als kompliziert sowie Kritikern zufolge als streng. Bislang müssen Staaten normalerweise 5 Prozent der Schulden, die über der 60-Prozent-Marke liegen, im Jahr zurückzahlen.

Wegen der Corona-Krise sowie der Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine sind die Regeln vorübergehend bis 2024 ausgesetzt. Viele Länder überschreiten die Grenzwerte vor allem, weil sie sich während der Pandemie viel Geld liehen, um die Wirtschaft zu stützen. Aber auch schon vor der Pandemie wurde das Regelwerk oft missachtet - auch von Deutschland. Eine Rückkehr zu den alten Regeln wurde als Gefahr für die wirtschaftliche Erholung Europas gesehen. Ziel der Reform war es auch, sie simpler zu machen.

Wie es weitergeht

Bevor die neuen Regeln in Kraft treten können, müssen sie noch von den Ländern angenommen und mit dem Europaparlament verhandelt werden. Es wird erwartet, noch vor der Wahl zum Europäischen Parlament die Gesetzgebung abschließen zu können. Die Europawahl findet Anfang Juni 2024 statt.

© dpa-infocom, dpa:231220-99-365970/5