Der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, rechnet mit dauerhaft hohen Gaspreisen in Deutschland. »Auch wenn wir in keine Gasnotlage kommen, bleibt das Gas teuer«, sagte Müller dem Nachrichtenmagazin »Focus«.
Dabei seien die Folgen der aktuellen Gasknappheit preislich bei den Verbrauchern noch gar nicht angekommen. »Das kann für eine Familie schnell eine Mehrbelastung von 2000 bis 3000 Euro im Jahr bedeuten. Da ist die nächste Urlaubsreise oder die neue Waschmaschine dann oft nicht mehr drin.« Deutschland drohe eine »Gasarmut«.
Sollte die Bundesregierung die dritte und letzte Stufe im Notfallplan Gas ausrufen, agiert die Bundesnetzagentur als Bundeslastverteiler - sie entscheidet also, wer wie viel Gas bekommt. Sogenannte geschützte Kunden, darunter auch private Haushalte, haben dann Vorrang. Einer Bevorzugung der Industrie erteilte Müller im »Focus« erneut eine Absage. »Die Priorisierung der Verbraucher ist richtig.« Unternehmen, die kein Gas mehr erhalten, würden zwar entschädigt, Müller rechnet aber trotzdem mit einer Vielzahl von Klagen.
Der Bundesnetzagentur-Chef rief auch erneut dazu auf, Energie zu sparen. »Wer nicht aus Solidarität oder im Sinne des Klimaschutzes Gas sparen will, sollte an die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes denken«, sagte er. Die deutschen Industriebetriebe spürten die hohen Preise schon jetzt und stünden in Konkurrenz zu Unternehmen aus Asien oder den USA, wo das Gas günstiger ist.
DIHK befürchtet Konjunkturabsturz bei Gasliefer-Stopp
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag warnt vor schweren wirtschaftlichen Folgen bei einem Totalausfall russischer Gaslieferungen. Präsident Peter Adrian sagte der Deutschen Presse-Agentur, der DIHK schließe nicht aus, dass die Wirtschaftsleistung in einem solchen Fall in den Wintermonaten sogar um einen zweistelligen Prozentwert abstürzen könne.
»Wir stehen im Moment vor dem großen Problem, dass uns möglicherweise in einigen Monaten die Gasversorgung zusammenbricht«, sagte Adrian. »Die Uhr tickt. Wir müssen als Unternehmer auch immer den Worst Case denken. Wir müssen leider mit dem Szenario umgehen, dass es nach der Wartung ab 21. Juli aus Nord Stream 1 erst mal kein Gas mehr gibt. Das wäre der Supergau.« Die geplanten Flüssiggas (LNG)-Terminals in Deutschland seien bis zum Winter nicht einsatzfähig. »Das heißt im Klartext: Wir bekommen ein großes Energieproblem«, so Adrian.
Am Montag (11. Juli) sollen jährliche Wartungsarbeiten an der Ostseepipeline Nord Stream 1 beginnen, die in der Regel zehn Tage dauern. Die große Sorge ist, dass Russland nach der Wartung den Gashahn nicht wieder aufdreht.
»Viele Betriebe müssten ohne Gas-Bezug ihre Produktion einstellen. Wenn dieser Fall eintritt, dann befürchte ich ganz klar eine Rezession«, so Adrian. »Dann werden wir einen wirtschaftlichen Abschwung erleben, der sich deutlich von dem unterscheidet, was wir in der Finanzkrise hatten.«
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