Zum Jahresende hat sich der Materialmangel zumindest in Teilen der deutschen Industrie entspannt. Im neuen Jahr hoffen dann auch Autohersteller und andere von chronischen Nachschubproblemen geplagte Unternehmen auf eine Besserung der Lage. Derzeit ist die Situation je nach Industriezweig sehr unterschiedlich, wie einzelne Unternehmen und die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft berichten - in Bayern sitzen viele große Industrieunternehmen.
»Im Vergleich zum Frühjahr hat sich die Lage deutlich verbessert«, berichtet eine Sprecherin von Bosch Siemens Hausgeräte (BSH). »Den Großteil unserer Geräte können wir normal produzieren und dem Handel ausliefern, so auch unsere Geschirrspüler, die besonders stark von den Lieferproblemen betroffen waren.«
Kleingeräte wie Küchenmaschinen, Kaffeevollautomaten und Staubsauger sind demnach sehr gut lieferbar, ebenso große freistehende Maschinen wie etwa Wäschetrockner. »Bei wenigen Baureihen und Produkten sind immer noch spezifische elektronische Bauteile knapp und die Lieferzeiten noch etwas länger«, sagt die BSH-Sprecherin. »Insgesamt hat sich aber die Liefersituation von elektronischen Bauteilen und Chips entspannt und wir rechnen auch im kommenden Jahr mit einer weiteren Erholung.«
Der Mangel an elektronischen Bauteilen war in den vergangenen zwei Jahren ein Hauptgrund stockender Produktion in der Industrie. Bedeutendster deutscher Hersteller von Halbleitern und Chips ist Infineon. Nach Angaben des Münchner Konzerns hat zur Verbesserung der Lage auch die Abkühlung der Weltkonjunktur beigetragen. »Die Nachfrage nach elektronischen Produkten im Konsumentenbereich war zuletzt schwächer ausgeprägt, was teilweise zu einer Entspannung der Liefersituation führt«, sagt ein Infineon-Sprecher. Als Beispiele nennt er Smartphones und Computer.
Zahlen für den Dezember gibt es noch nicht, aber laut Münchner Ifo-Institut meldeten im November 59,3 Prozent der monatlich befragten Firmen Materialknappheit; immer noch eine große Zahl, aber der niedrigste Wert seit April 2021.
Bei manchen Chips gibt es jedoch nach wie vor große Nachschubprobleme. Besonders angespannt war laut Infineon die Liefersituation zuletzt bei Mikrocontrollern. Das sind Chips mit eigenem Prozessor, die beispielsweise in Autos zur Steuerung vieler Fahrzeugfunktionen verwendet werden. »Die Kapazitäten sind noch immer knapp, doch erwarten wir eine zunehmende Entspannung im Jahresverlauf 2023«, sagt der Sprecher.
Stark wachsende Nachfrage erwartet Infineon weiter bei Leistungshalbleitern. Das sind elektronische Elemente, mit denen hohe elektrische Spannungen und Ströme gesteuert werden können und die etwa in Elektromotoren oder auch den Stromgeneratoren von Windrädern zum Einsatz kommen.
Sowohl Mikrocontroller als auch Leistungshalbleiter sind für die Autohersteller wichtig. Die Autoindustrie litt laut Münchner Ifo-Institut im November von allen Industriezweigen am stärksten unter Lieferengpässen. So ist dementsprechend bei Audi in Ingolstadt nicht von Entspannung die Rede, sondern von »struktureller Unterversorgung mit Halbleitern«.
Das ist nicht das einzige anhaltende Problem: »Neben der allgemeinen Versorgungsknappheit erschweren zusätzliche Umstände, wie etwa der Ukraine-Krieg, die Energiekrise oder auch Maßnahmen im Rahmen der Corona-Pandemie die reibungslose Aufrechterhaltung der weltweiten Lieferketten«, sagt eine Sprecherin - und betont, trotz der Herausforderungen sei Audi bisher gut durch die Halbleiterkrise gekommen. »Wir produzieren, wann immer wir können.«
Die VW-Tochter geht ebenfalls davon aus, dass sich die Versorgungssituation mit Halbleitern 2023 entspannen wird, allerdings nicht gänzlich. Audi rechnet demnach weiter mit »einzelnen Engpässen bei automotive-spezifischen Halbleitertechnologien«.
Der Mangel an Material und Vorprodukten habe sich zuletzt etwas entspannt, bleibe aber ein großes Problem für die Unternehmen, resümiert Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw). »Es ist zwar positiv, dass sich die Lieferengpässe derzeit leicht entspannen. Aber zum Teil ist das schlicht eine Folge der nachlassenden Weltkonjunktur.« Demnach melden viele Unternehmen, dass Aufträge verschoben, reduziert oder komplett storniert werden. »Zum Angebotsproblem durch Engpässe kommt ein Nachfrageproblem.«
Abgesehen davon bleiben Unsicherheiten, insbesondere die Lage in China. Die dortigen drakonischen Corona-Restriktionen waren eine wesentliche Ursache der globalen Lieferprobleme. Nunmehr grübeln Ökonomen und Manager, welche Auswirkungen die Corona-Kehrtwende der chinesischen Führung auf die Weltwirtschaft haben wird. Nach dem Ende der rigiden Isolierung von Corona-Infizierten breitet sich der in China so rasant aus, dass sich in manchen Betrieben vor Weihnachten bereits die Hälfte der Belegschaft krank gemeldet und Lieferdienste ihre Tätigkeit eingestellt hatten.
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