Schnitzel und Koteletts im Supermarkt sollen nicht zu teuer sein. Aber wie können Schweine dann mehr Platz im Stall bekommen, was sich ja auch viele wünschen? Damit Bauern nicht allein auf Milliarden-Mehrkosten für eine bessere Tierhaltung sitzen bleiben, müsste eine verlässliche Finanzierung her. Doch alle Ansätze dazu stecken seit Jahren politisch fest. Nun will Bundesagrarminister Cem Özdemir als Konsequenz aus den Bauernprotesten die Gunst der Stunde nutzen. Ein lange diskutierter »Tierwohlcent« müsse jetzt kommen, sagte der Grünen-Politiker am Dienstag in Berlin.
Den neuen Begriff »Tierwohlcent« platzierte Özdemir jetzt auffällig häufig. Dabei geht es um eine schon 2020 von einer Kommission um den früheren Agrarminister Jochen Borchert empfohlene »Tierwohlabgabe« auf tierische Produkte im Supermarkt. In der Ampel-Koalition hatte die FDP bisher beharrlich Einwände dagegen geltend gemacht. Nun signalisierte sie angesichts der Bauernproteste aber Offenheit.
Özdemir sagte, sein Haus und das Finanzministerium könnten ein Modell für einen »Tierwohlcent« relativ schnell aufschreiben. Dazu brauche es aber jetzt »ein klares Bekenntnis« der gesamten Ampel und auch die Unterstützung der Opposition. »Wer sich da vom Acker macht, zeigt der Landwirtschaft die rote Karte.« Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) sagte, wenn man die Probleme nicht über Änderungen im System der Mehrwertsteuer angehen wolle, sei ein »Tierwohlcent« die sinnvollste Möglichkeit, notwendige Investitionen jetzt zur Verfügung zu stellen.
Umbau der gesamten Tierhaltung
Konkret hatte die Borchert-Kommission einen schrittweise steigenden Finanzierungsbedarf ermittelt - bis auf jährlich 3,6 Milliarden Euro im Jahr 2040 für den Umbau der gesamten Tierhaltung. Um das Geld zu beschaffen, wäre eine mengenbezogene Abgabe auf tierische Produkte »die bestgeeignete Lösung«. Als Orientierung nannte das Gremium mögliche Preisaufschläge für Supermarktkunden. Denkbar wären etwa 40 Cent je Kilo Fleisch und Wurst, 2 Cent pro Kilo für Milch, Milchprodukte und Eier sowie 15 Cent pro Kilo für Käse und Butter. Dabei sollte eine solche Abgabe »sozialpolitisch flankiert werden«, empfahlen die Experten mit Blick auf niedrige Einkommen.
Özdemir machte deutlich, dass es bei Preisaufschlägen um »deutlich geringere Summen« gehen dürfte, wie er im TV-Sender Welt sagte. Denn die Tierwohlabgabe sei von der Kommission für alle Tierarten und alle Vertriebswege berechnet worden. »Wir gehen ja schrittweise vor, beginnend bei der Schweinehaltung.« Als Anschubfinanzierung für Stallumbauten und laufende Mehrkosten bei Schweinen hat die Koalition vorerst eine Milliarde Euro reserviert, die bis 2026 reichen soll.
Lemke, die auch Verbraucherschutzministerin ist, sagte: »Was die Menschen nicht wollen, ist, dass sie mehr bezahlen müssen für ein Schnitzel, was unter keinen guten Bedingungen produziert worden ist. Aber wenn es besser für die Tiere geht, dann ist eine große Bereitschaft da, ein bisschen Preisaufschlag in Kauf zu nehmen.« Dass das Borchert-Konzept nun plötzlich auf der Agenda steht, kommt etwas überraschend. Wohl auch für die Kommission selbst. Erst im Sommer hatte sie die Arbeit eingestellt und sich aufgelöst - wegen fehlender Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung ihrer Empfehlungen.
Union will Antrag einbringen
Özdemir muss nun die mitregierende FDP ins Boot holen, blickt aber auch gen Opposition. »Landwirte denken in Generationen, nicht in Legislaturperioden. Sie wollen sich darauf verlassen können, wenn eines Tages die Regierung wechselt«, sagte er. Und warnte: »Wer nein sagt zum Tierwohlcent, sagt nein zur Tierhaltung in Deutschland.«
Die Union will an diesem Donnerstag einen Antrag in den Bundestag einbringen, der sich auch für eine Umsetzung der »tragfähigen und gesellschaftlich anerkannten Empfehlungen« der Borchert-Kommission ausspricht. Kritik kam aber auch prompt. »Das würde zu einer weiteren Verteuerung der Lebensmittel führen«, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Angesichts der Inflation und Preissteigerungen von 12 Prozent bei Lebensmitteln seien weitere preissteigende Maßnahmen das »grundfalsche Signal«. Sinnvoller sei, über eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel nachzudenken.
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