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Ökonomen fürchten weitreichende Folgen bei Lieferstopp

Soll der Westen von sich aus auf russische Energielieferungen verzichten? Und welche Auswirkungen hätte das auf die Wirtschaftsleistung? Forscher sind sich sicher: Die Auswirkungen wären weitreichend.

Baustellen in einem Wohngebiet
Neubauten entstehen in der Region Hannover. IMK-Experten rechnen aber für dieses Jahr im besten Fall noch mit einem moderaten Wachstum in Deutschland. Foto: Julian Stratenschulte
Neubauten entstehen in der Region Hannover. IMK-Experten rechnen aber für dieses Jahr im besten Fall noch mit einem moderaten Wachstum in Deutschland.
Foto: Julian Stratenschulte

Ein Stopp russischer Energielieferungen würde nach Berechnungen von Wirtschaftsforschern das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland mittelfristig um bis zu drei Prozent einbrechen lassen.

Müsste sich die Wirtschaft dauerhaft darauf einstellen, kein Öl und Gas mehr aus Russland zu beziehen, würde der entsprechende Umbau bis zu zehn Jahre in Anspruch nehmen, teilte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) am Dienstag in Berlin mit. Die Wirtschaftsleistung ginge in den kommenden 18 Monaten um bis zu drei Prozent zurück. »Gleichzeitig würde ein Importstopp zu einem Anstieg der Inflation um bis zu 2,3 Prozentpunkte führen«, hieß es weiter.

Deutsche Regierung lehnt Embargo ab

Aber auch für Russland hätte ein Embargo oder ein Lieferstopp weitreichende Folgen, schreiben die Forscher. "Selbst wenn Russland weiterhin in der Lage sein sollte, einen Teil seiner
Primärenergieträger an Drittländer wie zum Beispiel China zu verkaufen, ist davon auszugehen, dass dies nur unter erheblichen Preisabschlägen möglich sein wird."

Die Bundesregierung lehnt ein Embargo bisher ab. Zuletzt hatte Kanzler Olaf Scholz (SPD) erneut deutlich gemacht, dass aus Sicht der Regierung in einem solchen Fall ganze Industriezweige in Deutschland bedroht seien.

Die Gruppe der sieben führenden demokratischen Wirtschaftsmächte (G7) hatte russischen Forderungen nach einer Begleichung von Gas-Rechnungen in Rubel eine Absage erteilt. Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) hatte die Forderung als einen »Bruch der bestehenden Verträge« bezeichnet. Scholz sagte: »Die Unternehmen werden entsprechend ihrer Verträge zahlen.« Diese Verträge seien überwiegend auf Euro ausgerichtet. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte vergangene Woche angekündigt, Gas-Lieferungen an »unfreundliche Staaten« nur noch in Rubel abzurechnen.

Angst vor Rezession

Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung warnte vor einem abrupten Stopp russischer Energielieferungen - sei es durch ein deutsches Embargo oder einen russischen Lieferstopp. Dies würde in diesem Jahr eine tiefe Rezession verursachen, sagte IMK-Direktor Sebastian Dullien.

Auch SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert warnte vor den Folgen möglicher Gas-Engpässe für die deutsche Wirtschaft. »Natürlich überlegen sich Unternehmen auch, wenn sie hier auf mittlere Sicht keine Produktionsperspektive haben, ob sie nicht woanders hingehen«, sagte er in der Sendung »Frühstart« von RTL/ntv. Man müsse diese Debatte »offen« führen: »Immer in dem Wissen, dass wir wirklich über die industrielle Substanz unserer Volkswirtschaft sprechen.« Sollte Putin das Gas für Deutschland abdrehen, könne die deutsche Industrie aber noch versorgt werden. »Nach meinem Kenntnisstand ist dafür genug vorhanden«, sagte Kühnert. Der Blick richte sich daher auf die nächste Winterperiode: Dafür müssten Vorkehrungen getroffen werden.

Abhängigkeiten reduzieren

Die Bundesregierung arbeitet daran, die Abhängigkeit Deutschlands von Energie aus Russland zu reduzieren. Der Anteil der russischen Gaslieferungen ist laut Habeck inzwischen von 55 auf 40 Prozent gesunken. Das Wirtschaftsministerium hatte jüngst betont, es gebe aktuell keine Versorgungsengpässe bei Gas.

Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) wiederholte seine Forderung, die Frühwarnstufe des Nationalen Notfallplans Gas auszurufen. »Obwohl aktuell noch kein Versorgungsengpass vorliegt, ist es wichtig, Vorsorge zu betreiben«, sagte BDEW-Hauptgeschäftsführerin Kerstin Andreae der »Neuen Osnabrücker Zeitung«. »Wir halten die Ausrufung der Frühwarnstufe weiterhin für sinnvoll, insbesondere vor dem Hintergrund der sich politisch zuspitzenden Lage.« Der BDEW stehe in intensivem Austausch mit dem Wirtschaftsministerium und der Bundesnetzagentur. Es gebe verstärkte Bemühungen, »sich auf eine potenzielle Krisensituation vorzubereiten«.

© dpa-infocom, dpa:220329-99-713599/4